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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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begriff. Danas Körper rutschte über den Boden, verdrehte sich. Eine steinerne Kante schrammte über ihre Schulter. Finn schrie, und sie mit ihm. Ihr rechter Unterarm, von seiner Hand wie von einem Schraubstock umspannt, zog sie mit übermächtiger Gewalt hinab. Dana stürzte über den Rand der Schachtöffnung und glitt in die Tiefe. Ihre Fingernägel schrammten über nackten Fels, doch das glatte, von einem Film aus Salzwasser überzogene Gestein bot keinerlei Halt.
    Für einen kurzen Moment flammte ein Bild in ihrem Geist auf, und sie sah sich selber, zehn Jahre alt, wie sie zum ersten Mal die große Rutsche im Freibad hinabgeglitten war – dasselbe Gefühl: der plötzliche Verlust der Kontrolle, das Ausgeliefertsein, die bange Erwartung des Aufpralls. Diesmal jedoch kam ihr kein grünschimmerndes Wasser entgegen, unter dessen klarer Fläche die Kacheln am Beckenboden schimmerten. Stattdessen umfing sie tiefe Finsternis, erfüllt von einem betäubenden Geruch nach Fäulnis und Verwesung. Es war wie der Sturz durch ein Abflussrohr in irgendeine finstere Kloake. Vielleicht war sie mit eisigem Wasser gefüllt, vielleicht mit Schlamm – vielleicht endete die Talfahrt aber auch auf solidem Steinboden.
    Es dauerte nur wenige Sekunden, doch in dieser winzigen Zeitspanne formte sich ein glasklarer Gedanke in Danas Geist.
    Ich werde jetzt sterben, dachte sie.
    Die Gewissheit ließ ihren Körper erschlaffen. Es war nicht mehr notwendig, dass sie ihre Muskeln anspannte, dass sie atmete, dass sie gegen die Kräfte ankämpfte, die sie in die Tiefe zogen.
    Bitte lass es schnell gehen.

••• 19   :   24 ••• JUSTIN •••
    Justin war eben erst auf die Beine gekommen, als er Danas Schrei hörte. Sein Kopf, gerade noch benebelt wie von einer stundenlangen Ohnmacht, wurde mit einem Schlag klar. Ein Adrenalinstoß rauschte durch seine Adern und ließ ihm die Ohren klingen.
    «Dana!», schrie er und hastete in den toten Gang, bis er über einen Metallzylinder am Boden stolperte. Es war die Grubenlampe.Mit zittrigen Fingern griff Justin danach, hielt sie hoch und erkannte unmittelbar vor sich die Schachtöffnung.
    «Was ist denn los?», rief eine verwirrte Stimme hinter ihm. Erst als Laura neben ihm stand und die Bruchstelle im Boden bemerkte, schlug sie entsetzt eine Hand vor den Mund.
    Justin warf sich zu Boden und spähte in den Schacht hinab, die Lampe am ausgestreckten Arm. Sie erhellte einige Meter nacktes Gestein, der Tunnel jedoch verlor sich in unermeßlicher Tiefe.
    «Dana! Finn!»
    Einige Sekunden lang hallte nur das Echo seiner eigenen Stimme zurück – doch als es verklungen war, glaubte er Schreie zu hören. Im ersten Moment war er nicht sicher, dass es die Stimme seiner Freundin war – so fern und fremd klangen die Geräusche aus der Tiefe.
    «Oh mein Gott», flüsterte Laura.
    Justin lauschte mit schmerzhaft klopfendem Herzen. Die Schreie jagten ihm einen Schauder über den Rücken, denn sie waren schrill und unartikuliert, und sie wollten nicht abbrechen. So schrie nur ein Mensch, der entsetzliche Schmerzen litt oder dem der Schrecken die Worte verschlagen hatte.
    «Dana!», brüllte er. «Kannst du mich hören?»
    «Wir müssen Hilfe holen!» Laura packte ihn an den Schultern und zog ihn auf die Beine. «Eins-eins-zwei anrufen   …»
    «Handys funktionieren hier nicht», stieß Justin heiser hervor. «Wir sind zu tief unter der Erde.»
    «Ich versuch’s trotzdem!» Laura lief den Gang hinunter in die Kammer zurück.
    Justin blieb stehen, die Lampe in der Hand, für Augenblicke wie gelähmt. Was tun?, hämmerte es in seinem Kopf. Wir haben nicht einmal ein Seil   … Oh mein Gott, ich bin schuld, wenn den beiden etwas passiert ist, ich habe sie hierhergebracht   …
    «Du hast recht!», schrie Laura zu ihm herüber. «Kein Netzempfang!»
    Wir müssen nach draußen, begriff Justin.
    Noch einmal beugte er sich über die Schachtöffnung und nahm alle Selbstbeherrschung zusammen, um seiner Stimme einen sicheren Klang zu verleihen.
    «Dana! Halte durch! Wir holen Hilfe!»
    Dann wandte er sich um und rannte los.
    Laura, die in der Kammer über ihrem Handy kniete, blickte erschrocken hoch, als er auf sie zustürmte.
    «Komm schnell!», rief er ihr zu. «Wir müssen aus diesem Bergwerk heraus!»
    «Aber es dauert viel zu lange, bis wir oben sind – bis dahin könnten die beiden tot sein!»
    «Hast du eine bessere Idee?»
    Justin haschte nach dem Lageplan des Bergwerks und eilte zu dem Stollen
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