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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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zu den Kalksteinhöhlen unserer Region. Die junge Wissenschaftlerin, bekannt geworden durch ihren spektakulären Einsatz beim Grubenunglück in der Schachtanlage Biedersheim, macht am kommenden Freitag in Bad Hertzau Station. Ihr Vortrag «Fantastisches Leben in der Tiefe» . (Stadthalle Bad Hertzau, 19   Uhr) verspricht einen ebenso spannenden wie lehrreichen Abend.
    «Was ist? Irgendeine Idee?», mutmaßte Böttcher.
    «Vielleicht   …», hörte Bringshaus sich sagen, während der Gedanke an Deutlichkeit gewann wie ein aufflammendes Licht. «Drüben in Bad Hertzau findet heute Abend ein Vortrag statt. Diese Berliner Speläologin ist dort zu Gast   …»
    «Keine Ahnung, von wem du sprichst.»
    «Hast du noch nie von ihr gehört? Sie ist Höhlenforscherin und wurde letzten Februar bei dem Grubenunglück in Biedersheim hinzugezogen. Das ging doch ganz groß durch die Presse.»
    «Im Moment habe ich andere Sorgen, als mich an Zeitungsmeldungen zu erinnern. Also, was ist mit dieser Frau?»
    «Na ja   …» Bringshaus zögerte einen Moment. «Sie ist blind.»
    Böttcher schien seinen Ohren nicht zu trauen.
    «Sie ist
was?
»
    «Es steht in der Zeitung», erklärte Bringshaus. «Bei ihren Höhlentouren nimmt sie kein Licht mit, orientiert sich nur über Gehör und Tastsinn und ist darin angeblich eine Art Genie. Hilfe bei Rettungsaktionen soll ihre Spezialität sein. In Biedersheim hat sie vier verschüttete Bergleute praktisch im Alleingang herausgeholt. Außerdem arbeitet sie allein. Es heißt, sie hat einen Assistenten, aber der geht nie mit runter, sondern seilt sie nur ab.»
    «Hm», machte Böttcher. «Keine schlechte Idee.»
    «Vielleicht kann ich sie anheuern. Sicher wohnt sie im City Hotel, ich rufe sofort dort an.»
    «Gut. Tu das.»
    «Wie viel soll ich ihr bieten?»
    Böttcher zögerte, wie stets, wenn es um Geld ging und sein Geiz angesprochen wurde. «Biete ihr zehntausend, die Hälfte übernehme ich. Wenn sie Zicken macht, geh bis zwanzigtausend – aber nicht darüber, bevor wir es besprochen haben.»
    «Gut.»
    «Ruf mich an, sobald du das geklärt hast. Ich werde inzwischen versuchen, Wildhauer zu erreichen.»
    «Du willst es ihm sagen?»
    «Warum nicht? Vielleicht kann er irgendetwas in der Sache unternehmen – schließlich betrifft es auch ihn. Wir treffen uns dann beim Bergwerk.»
    «Und was mache ich mit der Feuerwehr? Ich
muss
sie rufen, sonst bin ich am Ende noch wegen unterlassener Hilfeleistung dran!»
    «Ruf sie ruhig. Die werden ohnehin nichts weiter tun können – und wenn sie es versuchen, musst du sie hinhalten! Sag ihnen, eine Expertin ist auf dem Weg. Und was den Höhlenrettungsverband betrifft: Die brauchen doch Stunden, um ein Team zusammenzutrommeln. Bis dahin ist die Sache erledigt.»
    «Ich hoffe es   …»
    «Behalt die Nerven, Jörn, hörst du? Reiß dich zusammen, wenigstens dieses eine Mal!»

••• 19   :   42 ••• CAROLIN •••
    «…   sind die Höhlensysteme an der slowenischen Adriaküste noch keineswegs vollständig erschlossen. Auswaschungen durch Regenwasser haben die Kalksteinmassive im Lauf der Jahrtausende derart untergraben, dass weitläufige unterirdische Landschaften mit einem einzigartigen Ökosystem entstanden sind. Bei meiner Tour im Februar dieses Jahres konnte ich eine unbekannte Höhle entdecken, die nur durch einen Syphon zugänglich war – einen Hohlraum, der dauerhaft unter Wasser steht. Als ich hindurchgetaucht war, lag eine unterirdische Halle vor mir, die nahezu die Größe einer Kathedrale hatte. Von der Decke hingen meterlange Tropfsteine herab. Ein Teil der Halle war von einem flachen See bedeckt, in dem sich Grottenolme tummelten. Nun müssen Sie wissen, dass der Grottenolm, ein augenloses Amphibium, sehr selten ist und ausschließlich in den Karsthöhlen Osteuropas vorkommt. Diese Tiere führen ein zurückgezogenes Leben in den unterirdischen Gewässern, wo sie sich von Krebsen und anderen Kleintieren ernähren. Sie können so alt werden wie ein Mensch, rund siebzig Jahre – und dieses Alter würden viele der Tiere auch erreichen, wenn ihr Überleben nicht durch Industrieabwässer gefährdet wäre, die in ihre Lebensräume einsickern. Die Habitat-Richtlinien der Europäischen Union haben den Grottenolm als streng zu schützende Art eingestuft.»
    Die junge Frau am Mikrophon machte eine bedeutungsvolle Pause, hob das Gesicht und schien über die Versammelten hinwegzublicken, eine Gruppe von etwa dreißig Zuhörern. Carolin
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