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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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Handynummer auf dem Display erkannt. War sein Sohn nicht auf der Schulabschlussfeier? Hatte er nicht gesagt, die Party würde bis zum späten Abend dauern?
    Vielleicht hat er Streit mit seiner Freundin, dachte Bringshaus. Und jetzt soll ich ihn irgendwo abholen.
    Seufzend nahm er den Hörer ab.
    «Ja?»
    Dann schwieg er und lauschte – sehr lange. Die Veränderung, die dabei in seinem Gesicht vor sich ging, hätte einen unbeteiligten Beobachter erschrecken lassen. Verwirrung malte sich auf seinen Zügen, dann Unglaube und schließlich nacktes Entsetzen, gemischt mit maßlosem Zorn.
    «Bist – du – denn» – er betonte jedes einzelne Wort – «
vollkommen – übergeschnappt

    Eine Ader an seiner Schläfe pulsierte, während er im Zimmer auf und ab ging, das Telefon am Ohr.
    «Wo genau? In welchem Raum?»
    Erneut lauschte er, wobei er seinen unruhigen Rundgang fortsetzte.
    «Nein! Du tust
gar nichts
, sondern bleibst, wo du bist, verstanden? Ich kümmere mich darum.»
    Er klickte das Telefon aus, ließ sich auf das Sofa sinken und starrte einen Augenblick wie versteinert ins Leere.
    «Verdammt», flüsterte er fassungslos. «Verdammt   … verdammt   …»
    Erneut nahm er das Telefon zur Hand und wählte – nicht den Notruf, sondern eine Privatnummer.
    «Böttcher», meldete sich eine ruhige Männerstimme.
    «Hartmut? Hier ist Jörn.»
    «Oh, hallo.»
    «Es gibt ein Problem.»
    «Sag bloß! Ist dein letztes Blind Date geplatzt – oder hat sie eine Hasenscharte und fünf Kinder?»
    «Hör auf mit den Witzen!», fuhr Bringshaus auf. Sein Gesprächspartner, der offenbar begriff, dass die Angelegenheit ernst war, schwieg verdutzt. «Hör zu! Mein Sohn ist mit drei anderen jungen Leuten in das Bergwerk eingebrochen   … Sollte wohl so etwas wie eine Abenteuer-Party werden.»
    «Eingebrochen? Wie das denn?»
    «Der Schlüssel lag in meinem Schreibtisch. Justin muss ihn sich genommen haben.»
    «Hast du die Schublade nicht abgeschlossen?»
    «Ich dachte nicht, dass das nötig wäre   … Jedenfalls sind sie auf die Ebene D hinuntergegangen und haben ihr Lager ausgerechnet in der alten Abbaukammer aufgeschlagen. Zwei von ihnen sind in den Müllschacht gestürzt – direkt in die Höhle.»
    Schweigen am anderen Ende.
    «Das ist nicht dein Ernst», sagte Böttcher schließlich.
    «Doch», beharrte Bringshaus. «Meinem Sohn ist nichts passiert, aber seine Freundin und ein Klassenkamerad sind jetzt da unten. Justin konnte sie schreien hören.»
    «War es ganz sicher der Müllschacht?»
    «Ja. Justin hat ihn genau beschrieben.»
    Erneutes Schweigen.
    «Scheiße», flüsterte Böttcher.
    «Was soll ich denn jetzt machen?» Bringshaus’ Stimme schwankte heftig. «Ich werde die Feuerwehr rufen müssen,wahrscheinlich sogar ein Höhlenrettungsteam. Wenn ich es nicht tue, tut es Danas Mutter.» Er hielt inne und fuhr sich mit der Hand über die schweißfeuchte Stirn.
    «Schöne Bescherung», sagte Böttcher nach einer Pause. Im Gegensatz zu seinem Gesprächspartner klang er nicht panisch, sondern eher besonnen. «Du hast recht, wir müssen uns etwas einfallen lassen, und zwar schnell. Vielleicht können wir einfach ein Seil hinunterlassen.»
    «Und was ist, wenn sie verletzt sind? Dann muss zuerst jemand runterklettern und ihnen ein Rettungsgeschirr anlegen. Dana ist die feste Freundin meines Sohnes, seit einem Jahr! Was soll ich Justin erzählen, wenn sie da unten stirbt? Oder Danas Mutter?»
    «Okay, okay», lenkte Böttcher ein. «Ganz ruhig, Jörn, nicht die Nerven verlieren! Wir brauchen also eine Seilwinde   …»
    «Eine professionelle Ausrüstung für Grubenrettungen, ja – und am besten einen erfahrenen Höhlenkletterer.»
    «Und zwar einen, der die Schnauze hält», präzisierte Böttcher. «Das müsste doch zu machen sein, wenn wir dem Betreffenden genügend Geld bieten. Fällt dir jemand ein?»
    Bringshaus seufzte verzweifelt. «Vergiss es! Wer immer in diese Höhle steigt, wird auf das Geld pfeifen und Reißaus nehmen, wenn er sieht   …»
    Eine Pause entstand. Bringshaus hörte seine eigenen letzten Worte im Raum schweben.
    … wenn er sieht.
    Mit wenigen Schritten ging er zum Wohnzimmertisch, wo die Tageszeitung lag. Am Morgen hatte er sich einen Artikel angekreuzt, der einen Vortrag in der Stadthalle ankündigte, und anfangs sogar überlegt, ob er hingehen sollte. Er blätterte rasch, fand die Stelle und überflog noch einmal die Zeilen.
    Tia Traveen (27), der «Engel von Biedersheim», tourt derzeit
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