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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren
Autoren: Léo Malet
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bescheidene Hütte war so
konstruiert, daß die unerwartete Heimkehr der Tänzerin jetzt meinen Rückzug
behinderte. Ein Abgang durch die Tür kam nicht in Frage. Also konzentrierte ich
mich auf die Fenster, mit denen ich die nächste Enttäuschung erlebte. Im
stillen bezeichnete ich mich als alles mögliche, weil ich zuvor versäumt hatte,
die Fluchtwege zu überprüfen. Völlig zu Unrecht, denn wie hätte ich ahnen
können, daß die Dame, die ich da beklaute, mit den Hühnern schlafen gehen wollte.
Die Fensterläden waren mit einem Schloß gesichert. Um das zu knacken, war es zu
spät. Ich versuchte es trotzdem, begriff aber bald, daß meine Anstrengungen
umsonst waren.
    Nach einem schnellen Gedankenaustausch
mit mir selbst hatte ich eine Idee. Dasselbe Werkzeug, das mich bei den
Fensterläden im Stich gelassen hatte, diente mir nun dazu, ein paar Schubladen
und das Schloß einer Truhe zu ramponieren. Da meine Anwesenheit nicht mehr zu
verheimlichen war, sollte es wenigstens nach einem gewöhnlichen Einbruch
aussehen.
    Die Truhe enthielt ein Bündel
Banknoten und Ohrringe. In der Lage, in der ich mich befand, gab es kein Zurück
mehr. Ich nahm den Kram an mich.
    Dann steckte ich meine Taschenlampe
wieder ein, knöpfte meinen Trenchcoat sorgfältig zu, zog meinen Schal über den
Mund sowie den Hutrand über die Augen und nahm den Revolver in die Hand. So
verkleidet, ging ich zur Tür, lauschte, hörte das Schneuzen der reizenden
Jackie Lamour, das Bullern des Ofens, den der Spaßvogel endlich in Gang gesetzt
hatte, und den Spaßvogel selbst, der einen unverständlichen Satz von sich gab.
Ich drehte den Türknauf, schob den Riegel zurück und stieß den Türflügel mit
einem Fußtritt auf, der ihn beinahe zertrümmert hätte. Wie ein richtiger Teufel
stand ich da in vollem Licht.
    Jackie Lamour war so verblüfft, daß
sie nicht mal einen Schrei ausstieß. Ihr Begleiter dagegen wartete gar nicht
erst meine Aufforderung ab und streckte seine Pfoten in Richtung Kronleuchter.
Auch wenn er groß und stark war, wußte ich, daß er keinen Widerstand leisten
würde.
    „Hände hoch und Schnauze!“ befahl ich
mit gedämpfter, aber energischer Stimme. Wie einer, der sich nicht auf die Füße
treten läßt und für den die Kanone in der Hand kein Theaterrequisit ist.
    Völlig sprachlos gehorchte die
Tänzerin, fast ohne es zu merken. Und da sah ich die Narbe.
     
    * * *
     
    Die Erregung ließ die Kleine schwer
atmen. Noch etwas, das den Gästen des Cabarets Die Amsel, die 75 Francs
für ein Glas Wein zahlten, vorenthalten wurde: Die Brust hob und senkte sich
zwischen der Spitze des Kleides, ganz entzückend und ganz fest.
    Doch so anziehend dieses Schauspiel
auch war, ich konnte nicht so lange hier stehen, bis die Marschallin Petain
Fünflinge bekam, zum Beispiel. Um so weniger, da dieser Schönheitskönigin vor
mir nicht ewig die Spucke wegbleiben würde. Sie war nicht auf den Mund
gefallen, und sobald die Schrecksekunde vorbei war, würde ihr bestimmt
auffallen, daß ich ganz alleine war.
    Ich erlaubte ihr nicht, irgendwelche
Schlüsse zu ziehen. Ich sprang auf die charmante Tänzerin zu und brachte ihr
mit einem einzigen Schlag eine neue Tanzfigur bei. Rhythmisch swingend,
überwältigend, die ich eigens den Bedürfnissen der Situation angepaßt hatte.
Die Nummer hätte heißen können: Ich habe eine Sprengstoffkapsel verschluckt oder Auf in Morpheus’ Arme.
    Sie plumpste aufs Bett. Um ihre Atmung
zu beschleunigen, bedeckte ich ihren Kopf mit einem Kissen. Dann nahm ich mir
den Kerl vor. Lächelnd legte ich einen Zeigefinger auf den Mund, eine Einladung
zum Schweigen, und klopfte bedeutungsvoll auf meine Manteltasche, in der sich
das Diebesgut befand. Nach einer angedeuteten Geste der Entschuldigung setzte
ich einen fachmännischen Kinnhaken an, der sich gewaschen hatte. Mein Opfer
konnte dem Schlag ausweichen, taumelte jedoch zurück, so als hätte es ihn
erwischt. Die Wand stoppte seinen Rückzug, er fiel hin, und im Fallen brachte
er es fertig, sich an einer Möbelkante die Hakennase zu stoßen, die sofort
anfing, wie ein Springbrunnen zu bluten.
    Wenn dieser Spaßvogel jemals Bankrott
machen sollte, würde er immer noch beim Theater sein Auskommen finden.
Schauspieler seines Kalibers gibt es dort nämlich nicht grade haufenweise.
    Ich ließ das Paar sich ausruhen und
verschwand von der Bildfläche. Auf dem Flur blieb ich eine Weile unbeweglich
stehen und lauschte. Die kleine Gymnastikveranstaltung war nicht sehr
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