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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren
Autoren: Léo Malet
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ein starkes Stück! Wirklich Pech, daß
die Kleine sich ausgerechnet den gestrigen Abend ausgesucht hat, um sich zu
erkälten. Wo sie doch seit einigen Monaten ihre Schenkel jeder Windrichtung
aussetzt... Das hätte ein schöner Reinfall werden können! Na ja,
glücklicherweise haben Sie den Abend mit ihr verbracht, um sich ein Alibi zu
verschaffen...“
    „Würden Sie mir verraten, was Sie
damit meinen?“ fiel er mir scharf ins Wort.
    Daß ich mir so meine Gedanken machte,
gefiel ihm offensichtlich nicht. Da dies aber nun mal zu meiner Arbeit gehört,
fuhr ich fort, etwas zu meinen. Auf die Gefahr hin, ihn endgültig zu verärgern.
Mir sollte es gleich sein, mein Honorar hatte er ja bereits bezahlt.
    „Wenn sie in ihrem eigenen Wagen nach
Hause gefahren wäre“, räsonnierte ich, „hätte ich meinen Auftrag nicht zu Ende
führen können. Ich wollte gerade verschwinden, als Sie zusammen ankamen. Ich
nehme an, daß Sie alles versucht haben, um diesen Augenblick hinauszuzögern.
Vorgetäuschte Pannen und das ganze Brimborium. Hinterher hatte ich Gelegenheit,
mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich meine, daß Ihr Wagen ausgezeichnet fuhr.
Entschuldigen Sie, daß Sie von diesem abgelegenen Vorort aus zu Fuß nach Hause
gehen mußten, aber ich wollte mich so schnell wie möglich vom Tatort entfernen.
Vor allem nach der Inszenierung eines vorgetäuschten Einbruchs. Apropos, hier
sind die Schlüssel, und hier das Zeug, das ich Ihrer Freundin aus der Truhe
geklaut habe. Ihnen wird schon irgendwas einfallen, um es ihr zurückgeben zu
können. Hat sie übrigens bemerkt, daß die Briefe verschwunden sind?“
    „Das glaube ich nicht“, antwortete
Beaucher. „Der Überfall hat sie vollkommen durcheinandergebracht.“
    „Sie wird doch sicher Anzeige
erstatten, oder?“
    „Äh... ja, bestimmt... Ich glaube, das
hat sie vor.“
    „Hat sie es denn noch nicht getan?“
    „Nein. Jedenfalls nicht, während ich
bei ihr war.“
    „Na ja, sehen Sie zu, daß sie die
Beute wiederbekommt, bevor sie sich zum Äußersten entschließt. Es wäre mir
lieb, wenn die Sache keine Folgen hätte.“
    Er antwortete nicht, steckte das
Diebesgut ein und gab mir zu verstehen, daß das Treffen beendet war. Ich hatte
schon seit einer Weile den Eindruck, daß unsere Unterhaltung an seinen Nerven
zerrte. Ich hatte meinerseits auch nichts dagegen einzuwenden, an die frische
Luft zu kommen. In diesem Punkt waren wir uns also einig. Er ging zur Tür, ich
folgte ihm. Er hielt mich zurück.
    „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das
Haus eine Viertelstunde nach mir verlassen würden“, sagte er. „Man muß uns
nicht unbedingt zusammen sehen.“
    „Sie alter Angsthase!“ rief ich
lachend. „Da Sie jetzt im Besitz der Briefe sind, kann Jackie Ihnen doch nichts
mehr anhaben. Und daß sie sich hier in diesem Viertel rumtreibt, bezweifle ich.
Na schön, wie Sie wollen...“
    Ich setzte mich wieder. Nicht fünfzehn
Minuten, sondern eine halbe Stunde später verließ ich das Haus. Ich war
eingenickt und mußte von der abgetakelten Lebedame geweckt werden. Ich weiß
nicht, warum sie sich wunderbarerweise daran erinnerte, daß ich noch in dem
japanischen Salon rumsaß.
     
    * * *
     
    Ich bummelte ein wenig durch die
Gegend und fragte mich, ob ich mir meinen Schnäuzer abrasieren sollte oder
nicht. Ein Schaufenster hatte mir mein Spiegelbild vor Augen gehalten.
Vielleicht würde eine Rasur mich endgültig wachmachen. Natürlich kam es nicht
in Frage, die Operation eigenhändig vorzunehmen. Zuviel Arbeit. Ich betrat
einige Friseursalons, doch sie waren alle überlaufen. Also gab ich’s auf und
ging zum Bahnhof Saint-Charles, um mich nach einem Zug nach Paris zu
erkundigen. Der Angestellte empfahl mir ironisch den Zug Nr. 108 um 19 Uhr.
Einen anderen gab es nicht. Ich ging zum Hotel zurück und machte noch ein
kleines Schläfchen. Das war noch die beste Lösung.

Der Zug Nr. 108
     
     
    Wir waren zu siebt im Abteil. An der
Decke brannte nur das Nachtlicht, allerdings aus Gründen des Zivilschutzes.
Denn an Schlafen dachte niemand von uns, o nein! Außer mir und einem anderen
schweigsamen Mitreisenden redeten alle ununterbrochen über die Landung der
Alliierten. Mehrere Stunden mußte ich mir die Ohren vollquatschen lassen. Als
ich begriff, daß dieses Thema unerschöpflich war und uns alle an den Rand eines
privaten Kleinkrieges bringen würde, bat ich sie unmißverständlich, die Platte
zu wechseln. Sie musterten mich feindselig, innerlich dichteten sie
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