Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
Maillard
und Jackie. Und alle, die heute nacht oder später krepieren würden, ob sie nun
Dupont, Smith oder Müller hießen.
    Mit angespannten Nerven wartete ich
auf die nächste Explosion, ohne zu wissen, ob ich darauf hoffte oder Angst
hatte. Sie kam nicht. Nur in der Ferne hörte man einen dumpfen Lärm, der sehr
verdächtig klang. Dann knatterte in der Nähe eine Kanone der Flugabwehr, böse
und gehässig. Die darauffolgende Stille nutzte eine Kirchturmuhr, um uns zu
verraten, was die Stunde geschlagen hatte. Die Glockenschläge fielen trocken in
die ängstliche Stille hinein und erhöhten noch die gespannte Beklommenheit. Die
Zeit ging weiter. In derartigen Situationen muß ich das immer wieder erstaunt
feststellen. Ich betrachtete meine Wanduhr und lauschte dem vertrauten Ticken.
Vor fünf Minuten war mein Besuch gegangen. Kaum zu glauben!
    Das Klingeln an der Haustür schreckte
mich auf. Wie im Traum ging ich, um zu öffnen... und mußte Florimond Faroux
auffangen. Sein Anblick ließ mich schlagartig wieder in die Realität
zurückkehren.
    „Großer Gott!“ rief ich. „Was ist denn
mit Ihnen passiert?“ Ohne Hut, Mantel und Anzug zerrissen, über der Wange eine
blutige Spur, die sein Schnurrbart bremste.
    „Nichts Ernstes“, keuchte er, „ich
hätte dabei draufgehen können...“
    Er ließ sich in einen Sessel fallen
und fuhr sich mit seiner schmutzigen Hand übers Gesicht.
    „Haben Sie Alkohol im Haus?“ Wir mußten
lachen. „Deswegen bin ich zurückgekommen. Mein Gott, diese Aufregung! Kaum fünf
Meter von uns hat’s geknallt. Der Wagen... Alles hat getanzt... Sogar die
Straße... Fragen Sie mich nicht, wie ich da rausgekommen bin. Vielleicht, weil
ich nicht so dick bin wie der Deutsche.“
    Ich stellte zwei große Gläser auf den
Tisch, mitten zwischen die Geldscheine, und füllte sie mit gutem
Schwarzmarkt-Schnaps.
    „Tja“, murmelte ich, „der Deutsche...“
    Ich trank einen großen Schluck, Faroux
ebenfalls.
    „Wie ein Streichholz, Burma, wie ein
Streichholz! Sein letzter Gedanke galt seiner Arbeit. ,Der Film!’ hat er
geschrien. Na ja, der hat auch gebrannt. Unmöglich, ihn herauszuholen.“
    Er goß sich nach. Seine Hand zitterte,
die Flasche schlug gegen das Glas. Ich nickte langsam und stopfte mir eine
Pfeife. Draußen in der Ferne waren noch vereinzelt Explosionen zu vernehmen.
Mein Blick wanderte zu den zerschnittenen Banknoten.
    „Der Film“, flüsterte Faroux. Und
plötzlich: „Sie sind mir ‘n komischer Heiliger, Burma!“
    „Nicht wahr?“ murmelte ich
nachdenklich.
    Ich konnte meinen Blick nicht von den
Scheinen losreißen. Achselzuckend sagte ich zu meinem Freund:
    „Tja, mein lieber Florimond, ‘n
komischer Heiliger zu sein, das ist wie das Verbrechen... oder der Krieg.“
    Faroux sah mich verständnislos an. Ich
öffnete die Ofenklappe, nahm einen Geldschein und warf ihn in die Flammen. Dann
noch einen und noch einen. Einer nach dem anderen wanderte ins Feuer.
    „Es zahlt sich nicht aus.“
     
    Paris 1946

Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher