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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren
Autoren: Léo Malet
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laut
gewesen. Joseph jedenfalls schien weiterhin friedlich zu schlafen.
    Ich gelangte zur Tür, öffnete sie mit
meinem Nachschlüssel, der mir bereits Zugang zu der Villa verschafft hatte, und
schloß sie wieder, ebenso lautlos.
    Von schönem Wetter konnte draußen
wirklich keine Rede sein. Die Kiefern rauschten, ein Wind hatte sich erhoben.
Er blies vom Meer her und war alles andere als warm.
    In der Werkzeugkiste des Wagens,
dessen Motor immer noch lief, fand ich einen Hammer und einen Meißel. Damit
ging ich zum Haus zurück. Auf der Rückseite entdeckte ich eine Tür, die wohl
zur Küche führen mußte. Ich zerschlug das Schloß, um den Anschein zu erwecken,
ich wäre auf diesem Wege eingedrungen.
    Nach dieser Inszenierung eines
Raubüberfalls setzte ich mich an das Steuer des Wagens und fuhr in Richtung
Marseille. Die Fahrt verlief ohne die geringste Panne, was ein zusätzlicher
Beweis für Jackie Lamours Boshaftigkeit zu sein schien. Sie machte aber auch
das mustergültigste Auto schlecht. Die Straßen waren leer. Ich betete darum,
daß mir keine Polizeistreife begegnete. Und da ich beim lieben Gott einen Stein
im Brett habe, sah ich nicht mal den Schatten eines Flics. Ich stellte die
„alte Kiste“ vor einem ganz bestimmten Haus ab und ging zu Fuß zu meinem Hotel
zurück.
    Ein Uhr schlug es von einem Kirchturm
in der Nähe, als ich mein Zimmer betrat. Seit sechzig Minuten schrieben wir den
8. November, den 8. November 1942. Da unten, auf der anderen Seite des
Mittelmeeres, in Algier, wurden ein paar Leute — die, die von der
anglo-amerikanischen Landung wußten — so langsam nervös.
     
    * * *
     
    Sechs Stunden später — ich schlief
immer noch nicht — wurde ich am Telefon verlangt.
    „Worauf warten Sie noch, um mir das
Objekt zu bringen?“ bellte Robert Beaucher mit einer Stimme, die alles andere
als liebenswürdig war.
    „Darauf, daß Sie mich anrufen.“
    „Nun, das ist hiermit geschehen.“
    „Ich komme sofort.“
    „Warten Sie...“
    Die Ereignisse der Nacht hatten seinen
Geist verwirrt. Sprunghaft in seinen Entscheidungen, bremste er meinen Elan und
sagte, nein, nicht sofort, und vor allem nicht zu ihm nach Hause... Er
bestellte mich auf 10 Uhr zum Alten Hafen. Geduldig hörte ich mir seine
detaillierten Anweisungen an, bis er mir riet, alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen
zu beachten. Ich gab zurück, so etwas zu beachten, gehöre zu meinem Beruf,
wovon er sich doch schon habe überzeugen können, und legte auf.
    Ich wickelte das Bündel Briefe, das
ich Jackie Lamour entwendet hatte, in eine Zeitung. Aus den Banknoten und den
Ohrringen, mit deren Raub ich das eigentliche Ziel meines nächtlichen Besuches
verschleiert hatte, machte ich ein zweites Paket.
    Da ich die nichtbesetzte Zone ziemlich
satt hatte und noch am selben Abend nach Paris zurückfahren wollte, packte ich
meinen Koffer und stellte ihn ans Kopfende meines Bettes. Eine Ledermappe
jedoch deponierte ich im Safe des Hotels.
    Ich verließ das Hotel. Auf der Straße
herrschte reger Verkehr. Die Neuigkeit von der alliierten Operation in Algier
war soeben verbreitet worden. In einer Stadt wie Marseille mußte das zum Chaos
führen, vor allem an einem Sonntag. Leute, die sich noch nie gesehen hatten,
diskutierten heftig miteinander über das Ereignis. Worte flogen hin und her,
Falschmeldungen feierten fröhliche Urstände. Die Namen von Petain, Darlan,
Nogues, Roosevelt schwirrten durch die Luft.
    Ich kaufte die Extraausgabe einer
Tageszeitung. Mit ihr wollte ich an einem verschwiegenen Ort, wo man sich um
all das nicht scherte, vorausgesetzt, der Schwarzmarkt wurde davon nicht
beeinträchtigt, die Zeit bis zu meinem Rendezvous abwarten. Die Spezialität des
Hauses hier war echter Kaffee. Nur mit wirklich echtem, schwarzem Kaffee kann
man nach einer wirklich schlaflosen Nacht wieder auf die Beine kommen. Drei
Tassen möbelten mich auf. Das war auch nötig. Um das Honorar meines Klienten
nachzählen zu können, würde ich die Augen hübsch offenhalten müssen.
     
    * * *
     
    Robert Beaucher hatte mich an einen
seltsamen Ort bestellt. Die wasserstoffblonde Frau, die mir öffnete, verbarg
unter ihrem abgegriffenen Kimono einen ebensolchen Körper. Ihre Augen waren
müde, ihr Blick verschlagen, Haare und Make-up verlangten dringend nach einem
kräftigen Bürstenstrich bzw. einer Erneuerung. Kurz gesagt, eine
unausgeschlafene Zweit-Mätresse.
    Bei ihrem Anblick dachte ich so für
mich, wie unverbesserlich dieser Industrielle doch war.
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