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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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Onkel Carlo und einige Honoratioren der Stadt mit ihren Orden aus dem Ersten Weltkrieg, und es spielte keine Rolle, wer von ihnen Faschist 748
    gewesen war und wer nicht, es ging nur darum, die Helden zu ehren. Da waren der Klerus, die Männer der kommunalen Kapelle in dunklen Anzügen, der prächtige Leichenwagen, gezogen von schabrackenbedeckten Pferden mit Zaumzeug in Cremeweiß, Silber und Schwarz. Der Kutscher war aufgeputzt wie ein Marschall Napoleons, mit Zweispitz, Cape und weitem Mantel in denselben Farben wie das Zaumzeug. Und da war Don Ticos Kapelle, mit Schirmmützen, Khaki-Jacken und blauen Hosen, goldglänzend das Blech, schwarzglänzend das Holz und funkelnd das Becken über der Großen Trommel.
    Von *** bis San Davide waren es fünf bis sechs Kilometer, in Serpentinen den Hügel hinauf. Ein Weg, den die Rentner sonntags bocciaspielend zurücklegten, eine Partie, eine Pause, ein paar Fläschchen Wein, die nächste Partie, und so weiter bis rauf zur Kapelle.
    Ein paar Kilometer Steigung sind nichts, wenn man Boccia spielt, und vielleicht ist es auch nur ein Klacks, sie in Marschformation zu überwinden, die Waffe geschultert, den Blick geradeaus, die frische Frühlingsluft atmend. Aber man probiere es einmal blasend, mit prallen Backen, wenn einem der Schweiß von der Stirn rinnt und die Luft wegbleibt. Die Männer von der kommunalen Kapelle taten ihr ganzes Leben lang nichts anderes, aber für die Jungs vom Oratorium war’s eine harte Prüfung. Sie hielten heroisch durch, Don Tico schlug den Takt mit seiner Stimmpfeife in die Luft, die Klarinetten jaulten erschöpft, die Saxophone blökten asthmatisch, das Bombardon und die Trompeten krächzten mit letzten Kräften, aber sie schafften es bis zum Dorf, bis zum Fuß des steilen Weges, der zum Friedhof hinaufführte. Seit geraumer Zeit hatten Annibale Cantalamessa und Pio Bo nur noch so getan, als ob sie bliesen, aber Jacopo spielte wacker weiter seine Rolle als Hirtenhund unter Don Ticos verständnisinnigen Blicken. Verglichen mit der kommunalen Kapelle hatten sie keine schlechte Figur gemacht, und das sagten nun auch Terzi und die anderen Kommandanten der Brigaden: Bravo, Jungs, großartig habt ihr gespielt.
    Ein Kommandant mit blauem Halstuch und einem Regenbogen von Ordensbändern aus beiden Weltkriegen sagte:
    »Herr Pfarrer, lassen Sie die Jungs sich erst mal hier im Dorf ausruhen, sie können nicht mehr. Geht nachher rauf, am 749
    Ende. Da wird dann ein Pritschenwagen kommen, der bringt euch zurück nach ***.«
    Sie stürmten in die Osteria, und die Männer von der kommunalen Kapelle, alte Hasen, gestählt durch unzählige Beer-digungen, stürzten sich hemmungslos auf die Tische und bestellten Kutteln und Wein in rauhen Mengen. Sie würden da zechend bis zum Abend bleiben. Die Jungs von Don Tico versammelten sich am Tresen, wo der Wirt Granita di Menta servierte, grün wie ein chemisches Experiment. Das Eis flutschte durch die Kehle und rief einen Schmerz in der Mitte der Stirn hervor, wie bei einer Nebenhöhlenentzündung.
    Dann waren sie zum Friedhof hinaufgestiegen, wo der Pritschenwagen schon auf sie wartete. Sie waren lärmend auf die Ladefläche geklettert und standen dichtgedrängt, einander mit den Instrumenten anstoßend, als aus dem Friedhof der Kommandant mit den vielen Ordensbändern kam und sagte: »Herr Pfarrer, für die Schlußzeremonie brauchten wir rasch noch eine Trompete, Sie wissen schon, die üblichen Signale. Eine Sache von fünf Minuten.«
    »Trompeter!« rief Don Tico. Und der unselige Inhaber des begehrten Titels, inzwischen ganz verklebt von pfefferminz-grüner Granita und begierig auf das heimische Mahl, ein träger Bauernlümmel ohne jedes Gespür für ästhetischen Schauder und höhere Ideale, begann zu jammern, es wäre schon spät, er wolle nach Hause, er hätte gar keine Spucke mehr und so weiter und so fort, und der arme Don Tico stand ganz blamiert vor dem Kommandanten.
    Da sagte Jacopo, der in der Glorie des Mittags das süße Bildnis Ceciliens erspähte: »Wenn er mir die Trompete gibt, gehe ich.«
    Dankbares Leuchten in den Augen Don Ticos, Erleichterung in dem verschwitzten Gesicht des offiziellen Trompeters. Austausch der Instrumente, wie zwei Wachen.
    Und Jacopo schritt in den Friedhof hinein, geführt von dem Psychopompos mit den den Ordensbändern aus Addis Abe-ba. Alles ringsum war weiß, die Mauer im blendenden Sonnenlicht, die Gräber, die blühenden Bäume an der Umfriedung, das Chorhemd des Probstes,
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