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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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Zeilen wieder hervorzuholen und sie der elektronischen Demütigung auszusetzen.
    Beim Lesen schien mir, als setzten sie eine bekannte Geschichte fort: die Ereignisse in *** von 1943 bis 1945, mit Onkel Carlo, den Partisanen, dem Oratorium, Cecilia und der Trompete. Den Prolog kannte ich, das waren die obsessi-ven Themen des romantischen, betrunkenen, enttäuschten und leidenden Belbo. Memoirenliteratur, das wußte auch er, ist die letzte Zuflucht der Canaillen.
    Aber ich war kein Literaturkritiker, ich war einmal mehr Sam Spade, auf der Suche nach der letzten Spur.
    Und so fand ich den Schlüsseltext. Er bildet vermutlich das letzte Kapitel von Belbos Geschichte in ***. Danach kann nichts mehr geschehen sein.
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    Dann sobald das Laubwerck oder Krantz am
    Rohr angezündet wurde, sahe ich zu oberst das
    Loch eröffnen und ein hellen Feuerstriemen
    durch das Rohr hinabschießen und in den Leich-
    nam fahren. Darauf wurde das Loch wider ver-
    decket und die Posaun weggeraumbt.
    Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, 6, p. 126
    Der Text hat Lücken, Überlappungen, unklare Stellen, Streichungen. Ich rekonstruiere ihn mehr, als daß ich ihn lese, ich lebe ihn nach.
    Es muß gegen Ende April 45 gewesen sein. Die deutsche Wehrmacht war geschlagen, die Faschisten zerstreuten sich, auf jeden Fall war *** bereits fest in der Hand der Partisanen.
    Nach der letzten Schlacht, derjenigen, von der uns Jacopo in diesem Hause erzählt hatte (vor fast zwei Jahren), hatten sich mehrere Partisanenbrigaden in *** versammelt, um dann in die Provinzhauptstadt zu marschieren. Sie warteten auf ein Signal von Radio London, sie sollten aufbrechen, wenn Mailand zum Aufstand bereit war.
    Auch die kommunistischen Garibaldiner waren gekommen, befehligt von Ras, einem Riesen mit schwarzem Bart, der im Ort sehr beliebt war. Sie trugen Phantasieuniformen, alle voneinander verschieden, nur die Halstücher und der Stern auf der Brust waren immer gleich, beide rot, und sie waren bewaffnet, wie’s gerade kam, der eine mit einem alten Karabiner, der andere mit einer vom Feind erbeuteten MP.
    Ganz anders dagegen die Badoglianer mit ihren blauen Halstüchern, in Khaki-Uniformen ähnlich denen der Engländer und mit brandneuen Stens. Die Alliierten unterstützten die Badoglianer durch großzügige Nachschublieferungen, die nachts mit Fallschirmen abgeworfen wurden, nachdem pünktlich um elf, wie er’s allabendlich seit zwei Jahren tat, der mysteriöse »Pippetto« vorbeigeflogen war, ein engli-745
    scher Aufklärer, bei dem niemand kapierte, was der da aufklären mochte, denn Lichter waren über Kilometer und Kilometer keine zu sehen.
    Es gab Spannungen zwischen Garibaldinern und Badoglia-nem, angeblich hatten die Badoglianer sich am Abend der Schlacht mit dem Ruf »Vorwärts Savoyen!« auf den Feind gestürzt, aber einige von ihnen sagten, das sei nur aus Gewohnheit gewesen, was solle man denn sonst beim Angriff rufen, das heiße noch lange nicht, daß sie Monarchisten seien, sie wüßten selber, daß der König beträchtliche Mitschuld habe. Worauf die Garibaldiner grienten, man könne wohl
    »Vorwärts Savoyen!« brüllen, wenn man auf offenem Feld mit aufgepflanztem Bajonett voranstürme, aber nicht, wenn man mit der Sten in der Hand hinter eine Hausecke hechte.
    Tatsache ist, daß die Badoglianer sich an die Engländer verkauft hatten.
    Trotzdem kam man zu einem Modus vivendi. Für den Angriff auf die Provinzhauptstadt brauchte man ein gemeinsames Oberkommando, und die Wahl fiel auf Terzi, der die am besten ausgerüstete Brigade kommandierte. Er war der älteste, er hatte den Ersten Weltkrieg mitgemacht, er war ein Held und genoß das Vertrauen der Alliierten.
    Nach ein paar Tagen, ich glaube, es war noch vor dem Aufstand in Mailand, waren sie losgezogen, um die Provinzhauptstadt zu nehmen. Gute Nachrichten trafen ein, die Operation war gelungen, die Brigaden kehrten siegreich nach *** zurück, aber es hatte Verluste gegeben, es hieß, Ras sei gefallen und Terzi sei verwundet.
    Dann, eines Nachmittags, hörte man das Brummen der Lastwagen, Siegesgesänge, die Leute liefen auf die Piazza, von der Landstraße kamen die ersten Einheiten, erhobene Fäuste, Fahnen, freudig geschwenkte Waffen aus den Auto-fenstern und auf den offenen Lastwagen. Schon längs der Straße waren die Partisanen mit Blumen überschüttet worden.
    Auf einmal rief jemand »Ras! Ras!«, und da saß er, vorn auf dem Kotflügel
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