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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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eines Dodge, mit seinem struppigen Bart und seinem schwarzen Haar auf der verschmitzten Brust unter dem offenen Hemd, und er grüßte lachend die Menge.
    Neben Ras stieg auch Rampini vom Dodge, ein kurzsichtiger Junge, der in der Blaskapelle spielte, er war nicht viel 746
    älter als die anderen, und seit drei Monaten war er verschwunden gewesen, es hieß, er sei zu den Partisanen gegangen. Und nun stand er da mit dem roten Tuch um den Hals, in einer Khaki-Jacke und einem Paar blauer Hosen. Es war die Uniform von Don Ticos Blaskapelle, aber er trug jetzt einen breiten Gürtel mit einem Holster und einer Pistole darin. Durch seine dicken Brillengläser, die ihm soviel Spott von seinen alten Spielkameraden eingebracht hatten, sah er auf die Mädchen, die ihn umjubelten, als ob er Flash Gordon wäre. Und Jacopo fragte sich, ob Cecilia wohl in der Menge sein mochte.
    Nach einer halben Stunde wimmelte der Platz von Partisanen, und die Menge rief laut nach Terzi, er solle eine Rede halten.
    Terzi erschien auf dem Balkon des Rathauses, blaß, auf seine Krücke gestützt, und versuchte mit der freien Hand die Menge zu beruhigen. Jacopo wartete gespannt auf die Rede, denn seine ganze Kindheit war, wie die seiner Alters-genossen, von den großen historischen Reden des Duce ge-prägt gewesen, deren bedeutendste Stellen man in der Schule auswendig lernte, was in der Praxis hieß, daß man alles auswendig lernte, denn jeder Satz war eine bedeutende Stelle.
    Als die Menge endlich schwieg, begann Terzi zu sprechen, mit einer rauhen Stimme, die kaum zu hören war. Und er sagte: »Mitbürger, Freunde. Nach so vielen leidvollen Opfern... da sind wir wieder. Ehre den für die Freiheit Gefallenen.«
    Das war alles. Er ging wieder hinein.
    Und die Menge jubelte, und die Partisanen hoben ihre MPs, ihre Stens, ihre Karabiner, ihre Einundneunziger hoch und feuerten in die Luft, die Hülsen regneten nur so herunter, und die Jungs schlüpften zwischen den Beinen der Bewaffneten und der Zivilisten hindurch, denn eine so fette Ernte würden sie nie wieder machen, es bestand die Gefahr, daß der Krieg noch im selben Monat zu Ende ging.
    Aber es hatte auch Tote gegeben, zwei junge Männer. Durch einen grausamen Zufall stammten sie beide aus San Davide, einem Dorf oberhalb von ***, und ihre Familien wünschten, daß sie auf dem dortigen Friedhof begraben würden.
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    Das Partisanenkommando beschloß, es solle ein feierliches Begräbnis werden, mit angetretenen Kompanien, geschmücktem Leichenwagen, der kommunalen Musikkapelle und dem Domprobst. Und mit Don Ticos Blaskapelle.
    Don Tico war sofort einverstanden. Vor allem, wie er sagte, weil er immer antifaschistisch empfunden habe. Sodann auch, wie die Spieler flüsterten, weil er seit einem Jahr zwei Trauermärsche mit ihnen eingeübt hatte, die er irgendwann einmal vorführen mußte. Und schließlich, wie die Läster-zungen im Städtchen sagten, um die Geschichte mit Giovinezza wiedergutzumachen.
    Die Geschichte mit Giovinezza ging so.
    Monate vorher, ehe die Partisanen kamen, war Don Ticos Kapelle eines Tages losgezogen, um zum Fest ich weiß nicht welches Heiligen aufzuspielen, und war unterwegs von den Schwarzen Brigaden angehalten worden. »Spielen Sie Giovinezza, Herr Pfarrer!« hatte der Hauptmann befohlen, und seine Finger trommelten auf der MP. Was tun, wie man spä-
    ter sagen lernte? Don Tico sagte: Jungs, versuchen wir’s halt, man hat nur ein Leben. Und er schlug den Takt mit seiner Stimmpfeife, und eine wüste Horde von Kakophonikern überzog *** mit einem Getöse, das nur die desperateste Hoffnung auf Endsieg hätte für die Faschistenhymne Giovinezza halten können. Es war eine Schande für alle. Eine Schande, weil sie eingewilligt hatten, sagte Don Tico hinterher, aber vor allem, weil sie so hundsmiserabel gespielt hatten. Priester ja, und Antifaschist, aber Kunst ist Kunst.
    Jacopo war an dem Tag nicht dabeigewesen. Er hatte Man-delentzündung gehabt. Es waren nur Annibale Cantalamessa und Pio Bo dagewesen, und ihre exklusive Präsenz muß entscheidend zum Zusammenbruch des Nazifaschismus beigetragen haben. Aber für Belbo war das Problem noch ein anderes, jedenfalls als er darüber schrieb: Er hatte eine weitere Gelegenheit versäumt, herauszufinden, ob er den Mut zum Neinsagen hätte. Vielleicht ist er deshalb am Pendel gestorben.
    Wie auch immer, das Begräbnis war dann für Sonntag vormittag angesetzt worden. Auf dem Domplatz waren sie alle da. Terzi mit seinen Mannen,
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