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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition)
Autoren: Rainer Wekwerth
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die auch er einmal voller Stolz getragen hatte. Ihre Gesichter leuchteten unheimlich im Schein einer entzündeten Fackel, die nun über ihn gehalten wurde.
    »Das ist er! Das ist Korek!«, sagte eine tiefe Stimme.
    Der Pferdewirt verstand jedes Wort mit absoluter Klarheit, so als käme die Stimme direkt aus seinem Kopf.
    »Du hättest nicht gleich schießen sollen, Heidar«, meinte ein anderer Soldat vorwurfsvoll. »Jetzt können wir ihn nicht mehr befragen!«
    »Er lebt noch, also können wir ihn auch verhören!«
    Eine Hand schoss vor und packte Korek am Kragen.
    »Wo ist das Kind, du Hundesohn?«
    Korek spürte nun, dass er starb. Ein seltsamer Friede erfasste ihn und trug ihn aus dieser Welt. Mit einem Lächeln auf den Lippen glitt er in die ewige Finsternis.
     
    Ein gnädiger Nebel war aufgezogen und umhüllte das Kind, das trotz der kühlen Feuchtigkeit eingeschlafen war. Hinter den kleinen Augenlidern zuckten die Pupillen. Der Prinz erlebte den ersten Traum seines noch jungen Lebens.
    Nicht weit entfernt von dem Säugling war eine alte, einsame Wölfin auf der Suche nach Nahrung. Ihr Rudel hatte sie wegen ihrer Gebrechlichkeit und ihrer Nutzlosigkeit bei der Jagd verstoßen, und so trottete das große, graue Tier durch das hohe Gras, die Schnauze über den Boden haltend und versuchte, die Spur einer Maus oder eines Kaninchens zu finden.
    Die Feuchtigkeit und der Umstand, dass Windstille herrschte, zwangen sie dazu, die Lichtung planmäßig abzusuchen. Ein tiefes Knurren entrang sich ihrer Kehle, als sie die Fährte eines Rehbocks aufnahm, der an dieser Stelle schon vor Stunden vorbeigekommen und längst weitergezogen war.
    Hinter den hohen Tannen erschienen nun die ersten Strahlen des neuen Tages.
    Die Wölfin wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, etwas Essbares aufzuspüren, bevor sie sich zum Schutz tiefer in den Wald zurückziehen musste.
    Plötzlich nahm sie Witterung auf. Der Geruch fuhr ihr beißend in die Nase. Mensch! Es roch nach Mensch! Sie wollte schon kehrtmachen und zurück zu den an der Lichtung stehenden Büschen hetzen, als sie bemerkte, dass kein Geräusch zu hören war.
    Menschen, mochten sie auch noch so gefährlich sein, bewegten sich stets laut und unbeholfen durch den Wald, so dass man ihnen mit etwas Glück entkommen konnte, bevor sie einen selbst entdeckten. Die Stille verwirrte das Tier. Die Ohren zuckten.
    Schließlich trieb sie der Hunger dazu, der entdeckten Spur nachzugehen. Sie kreuzte mehrfach die Fährte, um herauszufinden, in welche Richtung der Mensch sich bewegt hatte. Als sie sicher war, dass er weiter auf die Lichtung vorgedrungen war, presste sie ihre Schnauze dicht über das feuchte Gras und trabte weiter. In regelmäßigen Abständen leckte sie an einem Grashalm, um festzustellen, ob die Fährte ihre Frische behielt, dabei fiel ihr auf, dass der gleiche Geruch sich stellenweise überlagerte. Der Mensch war also wieder auf seiner eigenen Spur zurückgegangen. Zögernd blieb sie stehen.
    In ihrem einfachen Bewusstsein wechselte die Gier nach Nahrung mit der Angst vor dem unberechenbaren Feind, der aus großer Entfernung töten und verletzen konnte.
    Mehrere Minuten lang kreiste sie unentschlossen auf der Stelle. Sie wollte gerade die Suche fortsetzen, als ihr ein wilder Schmerz durch den Hinterlauf fuhr. Jaulend schoss sie herum.
    Ein zweiter Stein prallte an ihren Schädel, und nun hetzte die Wölfin als ein flacher, grauer Schatten davon und verschwand im Dickicht des Waldes.
    Zwischen den hohen Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung tauchte ein zwölfjähriger Junge auf. In seiner rechten, herabhängenden Hand baumelte eine Lederschleuder. An seinem Gürtel hingen die mageren Körper zweier Kaninchen. Auf seinem Gesicht lag ein befriedigtes Grinsen.
    Als er sich abwandte, hörte er ein ungewöhnliches Geräusch. Neugierig pirschte er näher. Schon nach wenigen Metern entdeckte er das Kind. In eine alte Decke gewickelt lag es im feuchten Gras. Als er sich zu ihm herabbeugte, begann es, fürchterlich zu schreien.
    Gram schob dem Säugling einen Finger zwischen die Lippen, so wie er es immer bei seiner jüngeren Schwester Marga getan hatte, als diese sich nicht beruhigen wollte. Das Baby griff nach dem Finger und saugte heftig daran. Gram lächelte und hob das Bündel auf. Mit für sein Alter großen Schritten stapfte er zurück zum Nachtlager seiner Familie.
     
    Djoran, Grams Vater, war gerade dabei, das Lager abzubauen, als sein Sohn mit dem Bündel aus dem
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