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Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Titel: Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Autoren: Zoe Archer
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1
    ÄRGER AM HAFEN
    Southampton, England. 1874.
    Gabriel Huntley verabscheute unfaire Kämpfe. Das war schon in der Schule so gewesen, dann später bei der Armee, im Dienste Ihrer Majestät, und er hasste sie noch immer.
    Huntley wich einer Faust aus, die auf seinen Kopf zuschoss, dann attackierte er seinen Gegner mit ein paar Schlägen. Als sein Möchtegernangreifer bewusstlos auf dem Boden zusammensackte, wirbelte Huntley herum, um sich dem nächsten Gegner zu stellen. Drei Männer kamen mit eiskaltem, mordlustigem Blick auf ihn zu. Die Zahl seiner Angreifer hatte sich leider nur geringfügig reduziert. Huntley musste unwillkürlich lächeln. Kaum eine Stunde zurück in England, und schon prügelte er sich. Vielleicht war es nicht so schlecht, wieder nach Hause zu kommen.
    »Wer zum Teufel ist der Kerl?«, schrie jemand.
    »Keine Ahnung«, antwortete ein anderer.
    »Hauptmann Gabriel Huntley«, knurrte er, während er einen Schlag abwehrte und zugleich einem anderen Angreifer seinen Ellbogen in den Magen rammte. »Vom dreiunddreißigsten Infanterieregiment.«
    Sein Schiff hatte in jener Nacht in Southampton angelegt und ihn nach fünfzehn Jahren zurück an die britische Küste gebracht. Hab und Gut auf den Rücken geschnallt, hatte er ungewöhnlich still und zurückhaltend am Fuß der Gangway gestanden. Er hatte das Gefühl gehabt, nicht einen Fuß vor den anderen setzen zu können. Jahrelang hatte man ihn von einem Ende des britischen Reiches zum anderen geschickt, nun durfte er endlich selbst über sein Schicksal bestimmen. Darauf freute er sich schon lange. Gleich nach seinem Entlassungsgesuch als Hauptmann hatte er eine Passage auf dem nächsten Schiff nach England gebucht.
    Doch bereits während der langen Tage und Wochen auf See, in denen er reichlich Zeit hatte, ausgiebig über alles Mögliche nachzudenken, verlor die Vorstellung an Reiz. Ja, er war in England geboren und die ersten siebzehn Jahre seines Lebens dort aufgewachsen – und zwar in einem trostlosen Bergwerkskaff in Yorkshire. Doch die andere Hälfte seines Lebens hatte er fast zur Gänze in fernen Ländern verbracht: auf der Krim, in der Türkei, in Indien und in Abessinien. England hatte sich immer mehr zu einem Idealbild entwickelt, das in Kasernen und Offiziersclubs hochgehalten wurde. Abgesehen von Sergeant Alan Inwood besaß er in England weder Familie noch Freunde. Die zwei Männer hatten jahrelang Seite an Seite gekämpft, bis eine Kugel Inwood das Bein gekostet hatte und der treue Sergeant in seine Heimat zurückgekehrt war. In all den Jahren hatte er Huntley jedoch regelmäßig geschrieben.
    Huntley trug Inwoods letzten Brief in der Jackentasche bei sich. Er kannte ihn auswendig, denn er hatte ihn auf der Überfahrt nach England immer wieder gelesen. Inwood schlug ihm vor, mit ihm als Textilhändler in Leeds zusammenzuarbeiten. Ein einfaches, ruhiges Leben. Mit der Aussicht zu heiraten. Inwood behauptete, in Leeds gebe es haufenweise nette, anständige Mädchen; die Töchter der Mühlenbesitzer hielten Ausschau nach Ehemännern. Huntley könne umgehend Arbeit und eine Frau finden – wenn er denn wollte.
    Huntley wusste, wie man unter den widrigsten Umständen kämpfte. In einem Monsun, in heftigen Schneestürmen oder bei sengender Hitze. Mit Bajonetten, Säbeln, Revolvern und Gewehren. Er hatte Schiffszwieback gegessen, auf dem Maden herumkrochen. Als es nichts anderes zu trinken gab, hatte er stinkendes verdorbenes Wasser getrunken. An all dem war er nicht zugrunde gegangen. Nichts machte ihm Angst. Aber bei der Vorstellung, wirklich sesshaft zu werden und, guter Gott, eine Frau zu suchen, gefror dem Soldaten das Blut in den Adern.
    Nachdem das Schiff angelegt hatte, war Huntley am Fuße der Gangway inmitten des Gedränges der von Deck strömenden Menschen stehen geblieben. Er hatte versucht, den ersten Schritt in sein neues Leben zu tun, ein normales Leben, und festgestellt, dass er es nicht konnte.
    Jedenfalls noch nicht. Anstatt schnell zum Gasthaus zu gehen, vor dem Postkutschen darauf warteten, die Passagiere zu Dörfern und Städten im ganzen Land zu bringen, hatte sich Huntley in die entgegengesetzte Richtung aufgemacht. Obwohl er monatelang auf See gewesen war, brauchte er mehr Zeit. Zeit nachzudenken. Zeit zu planen. Zeit, sich an sein seltsames und fremdes Heimatland zu gewöhnen. Zeit für zumindest ein Glas.
    Ziellos lief er durch das Labyrinth aus schmalen, von Straßenlaternen erleuchteten Gassen, die vom Pier
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