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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition)
Autoren: Rainer Wekwerth
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Wald trat. Eigentlich war Gram sein Stiefsohn, ebenso wie Marga nicht seine richtige Tochter war. Djoran hatte vor sieben Jahren Medak, ihre Mutter, eine Kriegerwitwe, die die beiden Kinder mit in die Ehe gebracht hatte, geheiratet. Er hatte diesen Entschluss nie bedauern müssen.
    Ein Lächeln glitt über sein markantes Gesicht und wischte den angespannten Ausdruck weg, den die große Narbe erzeugte, die von seiner Stirn über die gesamte rechte Gesichtshälfte bis zum Mundwinkel lief.
    Der Mann, dem er diese Verwundung verdankte, lag nun schon seit über zwölf Jahren in einem feuchten Grab und seine Gebeine vermoderten ebenso wie die hundert anderer, die sich ihm in den Weg gestellt hatten.
    Djoran war einmal ein großer Krieger gewesen, aber nach fünfzehn Jahren im Dienst des Fürsten von Haal, hatte er angewidert dem Kriegshandwerk den Rücken gekehrt, das nur aus Tod und Zerstörung bestand. Menschen, die er gekannt und geliebt hatte, waren auf den Schlachtfeldern gestorben, und das nur, weil die Mächtigen ihre Auseinandersetzungen nicht mit Worten und Verhandlungen, sondern mit dem Schwert führen wollten.
    Sein Lehnsherr hatte sich verzweifelt bemüht, Djoran zum Bleiben zu bewegen, aber die Armee, die er jetzt führte, hatte nichts mehr mit dem Heer gemeinsam, in das er vor vielen Jahren stolz eingetreten war. Alle waren sie tot!
    Lot, der ewige Spaßvogel, der so gut mit dem Messer umgehen konnte.
    Hasrat, der Riese, dessen gewaltige Körperkraft jede Vorstellungskraft sprengte.
    Und natürlich Beik, sein jüngerer Bruder, der auf der Ebene von Selak mit einem Speer im Rücken gestorben war.
    Viele, an deren Namen er sich nur noch undeutlich erinnern konnte, waren in Schlachten gefallen, die so sinnlos waren, dass es ihn graute, überhaupt daran zu denken.
    Nachdem niemand von der alten Truppe, außer ihm, übrig geblieben war, hatte er in die pausbäckigen Gesichter der neuen Rekruten, die er ausbilden sollte, geblickt und dort nur Unschuld entdeckt. Er lehnte das großzügige Angebot seines Fürsten ab und gab sich mit der kargen Abfindung zufrieden, die ihm für fünfzehn treue Jahre zustand. Sollte ein anderer die Lämmer zur Schlachtbank führen.
    Von dem Geld hatte er sich den Wagen und das nicht mehr ganz junge Pferd gekauft, und nun zog er schon seit langer Zeit als fahrender Händler und Messerschleifer durch das Land.
    Vor sieben Jahren hatte er in Medak eine gute Frau gefunden. Sie und die Kinder, die sie mitgebracht hatte, waren nun das Licht seines Lebens, und er hatte inneren Frieden gefunden und sich mit seinem Schicksal versöhnt.
    Gram und Marga betrachteten ihn wie ihren leiblichen Vater. Ihre Erinnerung an den Mann, der sie gezeugt hatte, war längst verblasst, und selbst Djoran konnte sich nicht mehr vorstellen, dass sein Leben einmal einsam gewesen war.
    Sein Blick hob sich von den Holzstangen, mit denen die große Plane aufgespannt war, als Gram das Lager betrat. Ohne ein Wort zu sprechen, trat der Zwölfjährige vor ihn und schlug die Decke des Bündels zurück. Das rosa glänzende Gesicht eines Säuglings kam zum Vorschein. Die großen Augen blickten stumm zu dem ehemaligen Krieger auf.
    »Ich habe das Kind unweit von hier auf einer Lichtung gefunden«, beantwortete Gram die unausgesprochene Frage. Seine Hand deutete in die Richtung, aus der er gekommen war.
    Djorans schwarze Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen.
    »War niemand in der Nähe?«
    »Nein, Vater. Ich glaube, es wurde ausgesetzt!«
    Ein ärgerliches Zischen entwich dem Mund des Messerschleifers. Die Zeiten waren hart für jedermann. Das Land erholte sich nur mühsam von den Wunden der letzten Kriege, und es kam immer häufiger vor, dass Neugeborene ausgesetzt wurden. Djoran hatte auf seinen Reisen oft davon gehört, den Erzählungen aber nur wenig Glauben geschenkt. Nun sah er mit eigenen Augen, dass es Menschen gab, die in ihrer Armut so verzweifelt waren, dass sie ihre Kinder dem Hungertod preisgaben.
    Hinter den beiden kletterte Medak aus dem Wagen. Neben ihr stand Marga und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Die Frau hatte die Unterhaltung mitgehört. Wortlos trat sie näher. Als sie das Kind sah, glitt ein Schimmern über ihr Gesicht.
    Sie nahm Gram den Säugling aus der Hand und schlug die Decke ganz zurück.
    »Es ist ein Junge«, sagte sie. Ein seltsames Vibrieren lag in ihrer Stimme.
    »Und?«, wollte Djoran wissen.
    »Nichts und! Wir werden ihn aufziehen!« In den Worten lag eine Endgültigkeit, die
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