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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht
Autoren: Peter V. Brett
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Frau würde es wagen, einem dal’Sharum zu widersprechen. Abbans Schwestern scharten sich bedrückt um sie. Abban streckte die Hände nach ihnen aus, aber Kaval riss ihn zurück. Der Junge heulte und schluchzte, als man ihn aus dem Zelt schleifte. Jardir konnte die Frauen noch weinen hören, nachdem die schwere Zeltklappe zugefallen war und der Lärm des Markts sie umschwirrte.
    Die Krieger schenkten den Jungen keine Beachtung, als sie sie zu den Exerzierplätzen führten, sondern ließen sie einfach hinter sich herzockeln. Unterwegs hörte Abban nicht auf zu weinen und zu bibbern.
    »Warum flennst du so?«, wollte Jardir wissen. »Vor uns liegt ein ehrenvoller, ruhmreicher Weg.«
    »Ich will aber kein Krieger sein«, schniefte Abban. »Ich will nicht sterben.«
    Jardir zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wirst du auch zum dama berufen«, gab er zu bedenken.
    Abban schüttelte sich. »Das wäre ja noch schlimmer«, meinte er. »Ein dama hat meinen Vater getötet.«
    »Warum?«, fragte Jardir.
    »Weil er versehentlich Tinte über sein Gewand schüttete«, antwortete Abban.
    »Und nur deshalb hat der dama ihn umgebracht?«, staunte Jardir.
    Abban nickte, und von neuem stiegen ihm die Tränen in die Augen. »Gleich nachdem es passierte, brach er meinem Vater das
Genick. Es ging alles so schnell … er packte ihn, etwas knackte, und mein Vater kippte um.« Er schluckte krampfhaft. »Jetzt bin ich der einzige Mann, der für meine Mutter und meine Schwestern sorgt«, fügte er hinzu.
    Jardir nahm ihn an die Hand. »Mein Vater ist auch tot«, erzählte er, »und es heißt, meine Mutter sei verflucht, weil sie hintereinander drei Töchter geboren hat. Aber wir sind Männer des Kaji. Wir können unsere Väter übertreffen und unseren Frauen die Ehre zurückgeben.«
    »Aber ich fürchte mich so«, schniefte Abban.
    »Ich habe auch Angst - ein bisschen«, gab Jardir zu, den Blick auf den Boden gerichtet. Einen Moment später erhellte sich seine Miene. »Lass uns einen Pakt schließen«, schlug er vor.
    Abban, der auf dem Basar groß geworden war, wo ein gnadenloser Konkurrenzkampf herrschte, musterte ihn argwöhnisch. »Was für einen Pakt?«, fragte er.
    »Wir helfen uns gegenseitig durch den Hannu Pash «, erklärte Jardir. »Wenn du stolperst, fange ich dich auf, und wenn ich stürze«, er lächelte und klatschte mit der Hand auf Abbans runden Bauch, »falle ich auf dich drauf wie auf ein Kissen.«
    Abban quiekte und massierte seine Wampe, aber er beklagte sich nicht, sondern sah Jardir nur staunend an. »Ist das dein Ernst?«, vergewisserte er sich und trocknete sich mit dem Handrücken die Augen.
    Jardir nickte. Sie liefen unter den Markisen des Basars, doch er packte Abban beim Arm und zog ihn aus dem Schatten heraus. »Ich schwöre es beim Licht des Everam.«
    Abban grinste breit. »Und ich schwöre es bei der mit Juwelen geschmückten Krone des Kaji«, verkündete er mit einer Verbeugung.
    »Nicht bummeln!«, bellte Kaval, und schnell schlossen sie zu den Männern auf, doch nun bewegte sich Abban mit viel mehr Selbstvertrauen.

    Die Exerziermeister zeichneten Siegel in die Luft, als sie am großen Tempel Sharik Hora vorbeikamen, und murmelten Gebete an Everam, den Schöpfer. Hinter dem Sharik Hora lagen die Exerzierplätze, und Jardir und Abban versuchten, überall gleichzeitig hinzublicken, um die Krieger bei ihrem Drill zu beobachten. Einige arbeiteten mit Schild, Speer oder Netz, während andere im Gleichschritt marschierten oder rannten. Aufpasser standen auf den obersten Sprossen von Leitern, ohne den geringsten festen Halt, und übten das Balancieren. Viele dal’Sharum schmiedeten Speerspitzen, versahen Schilde mit Siegeln oder trainierten den sharusahk - die Kunst des waffenlosen Nahkampfs.
    Zwölf sharaji , oder Schulen, umgaben die Exerzierplätze, einer für jeden Stamm. Jardir und Abban gehörten zu den Kaji und wurden deshalb in den Kaji’sharaj gebracht. Hier sollte der Hannu Pash beginnen, aus dem sie entweder als dama, dal’Sharum oder khaffit hervorgehen würden.
    »Der Kaji’sharaj ist viel größer als alle anderen«, meinte Abban und sah an dem gewaltigen Pavillonzelt empor. »Nur der Majah’sharaj ist annähernd so groß.«
    »Natürlich«, versetzte Kaval. »Glaubst du, es ist ein Zufall, dass unser Stamm Kaji heißt, nach dem Shar’Dama Ka , dem Erlöser? Wir sind die Nachkommen seiner tausend Frauen, das Blut von seinem Blute. In den Majah«, er spuckte aus, »fließt nur das Blut des
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