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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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gläsern bis zum Horizont, sie fuhr einem mit metallenem Geruch in die Nase, stach in der Lunge. Das blasse Vorwinterlicht der Sonne zeichnete jeden Halm, jeden Stein mit einer fast grausam nüchternen Klarheit ab. Jeder Klang verhallte überdeutlich hart.
    Selbst das Knirschen der Räder der offenen Kutsche, auf deren Bock Greider nun saß, wirkte, als könnte man darin jeden Kiesel einzeln zählen. Der Kutscher neben Greider hatte es nicht sonderlich eilig, doch die wenigen Male, wo er die Peitsche über den Köpfen der beiden Pferde schnalzen ließ, knallte das wie ein Pistolenschuss durch den leeren Nachmittag. Es war einer der sechs Männer, die Greider auf dem Dorfplatz empfangen hatten – jener mit dem Backenbart –, und neben ihnen ritten drei der anderen: die beiden Vollbärtigen und der ältere der beiden Schnauzbartträger. Hinten an der Kutsche angebunden, trottete Greiders Maultier duldsam mit, erleichtert um das Gepäck, das nun in der Kutsche lag.
    So hatte Greider das Gefährt schon vorgefunden, als er aus dem Wirtshaus getreten war. Ohne viele Worte hatten der Bärtige und seine versammelten Kumpanen Greider bedeutet, dass er auf die Kutsche zu steigen habe, und während er der Aufforderung gefolgt war, hatte er mitbekommen, wieder zweite Vollbärtige ein kleines Stück in Richtung Wirtshaus geritten war, aus dem die Neugierigen nun wieder herausströmten – offensichtlich um diesen mitzuteilen, dass er und die drei anderen als Begleittross für den Fremden vollauf genügten.
    Nun hatte man eben die letzten enger zusammenstehenden Häuser hinter sich gelassen und fuhr auf einem Weg, der tiefer ins Innere des rundum von Bergen eng umschlossenen Tals führte. Lang aber dauerte es gar nicht, da war sich Greider gewiss, dass das Haus der Hilfe bedürfenden Witwe Gader auch schon erreicht war. Der Bau, den er da links des Weges langsam näher kommen sah, unterschied sich nicht merklich von den anderen Häusern im Tal; auch er wirkte geduckt, beherbergte zwei Geschoße mit dick getünchten Wänden und misstrauischen Fenstern unter einem schwarzen Schindeldach. Und sein enger, üppiger Obst- und Gemüsegarten sprach nicht anders als die bisher gesehenen von der dunklen Fruchtbarkeit des Bodens und der furchtsamen Selbstgenügsamkeit der Bewohner. Was Greider seine Gewissheit verschaffte, stand vor dem niederen Zaun auf dem Weg: Es war der Einspänner, den er zuvor bereits im Dorf beobachtet hatte.
    Und tatsächlich wurde die Kutsche kurz darauf neben diesem Gefährt zum Stehen gebracht, und die drei Reiter stiegen ab, um Greiders Gepäck auszuladen und ihn zur Tür des Hauses zu geleiten. Die hatte sich geöffnet, kaum dass die Pferde ihren klappernden Trott unterbrochen hatten, und in dem schmalen Eingang, den sie freigab, warteten schon zwei Gestalten, um die Ankommenden in Empfang zu nehmen. Das eine musste die Witwe Gader sein: eine kleine, aufrechte Frau, deren noch immer schwarzes Haar zu einem strengen Dutt gebunden war. Nach Jahren gerechnet war sie nicht alt, konnte kaum auf ein halbes Jahrhundert Erdendasein zurückblicken – aber das Leben hier heroben machte die Haut ledrig, die Hände schwielig und sehnig. Doch die dunklen Augen der Frau hatten sich noch nicht von der Müdigkeit befallen lassen, welche Greider im Dorf begegnet war, und ihr vorsichtiges Lächeln ließ Zähne erkennen, die gerade waren und stark. Die Gestalt neben der Frau war der junge Mann, der den Einspänner gelenkt hatte.
    Die Witwe hieß Greider freundlich willkommen, ließ sich von seinen Plänen berichten, den Winter hier im Tal als Maler zuzubringen, beteuerte, wie froh sie sei, in ihm jemand zu finden, der ihr, neben ihrer Tochter, im Haus zur Hand gehen könne. Die ganze Zeit über spürte Greider jedoch ihre Unruhe, sah sie immer wieder schnelle Blicke auf die vier umstehenden Männer werfen, als wollte sie jeden zweiten Satz darauf prüfen, ob er deren Zustimmung fand. Er hatte das entschiedene Gefühl, dass die »Gader-Wittib« von ihrem Bedarf nach einem helfenden Hausgast vor noch kürzerer Zeit erfahren hatte als er selbst.
    Obwohl es frisch war im Schatten des Hauses, hatte man das ganze Gespräch lang keinen Schritt über die Schwelle getan. Erst als die Rede auf die Bezahlung fürs Quartier kam, schlug der Wortführer der Männer bestimmt vor, man könne doch in der Stube weiter »diskurieren«. Darauf schoben sich alle durch den engen Flur in die Wohnstube, wo ein Ofen prasselte und die sieben Menschen
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