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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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näher kam. Der Halbkreis der sechs Männer hatte sich aufgelöst, doch Greider entging nicht, dass vier von ihnen sich von der Menge nie zu weit von ihm wegtreiben, ihn nie aus den Augen ließen. Nur der Wortführer blieb mit dem anscheinend Jüngsten zurück, und Greider sah, wie der Bärtige auf den anderen einredete, der darauf zu einem unweit bereitstehenden Einspänner lief. Als Greider schon das Wirtshaus erreichte, hörte er durch das ihn umfangende Branden der Stimmen noch die Geräusche von Wagenrädern und preschenden Pferdehufen, die aus dem Dorf davoneilten.
    Man sah dem einzigen Wirtshaus des Tals an, dass es um seine Gäste nicht zu werben brauchte. Wie alle Häuser rund um den Platz hatte auch dieses nur zwei Geschoße, von denen das obere unter der Last eines schwarzen Giebeldachs kauerte, das aussah, als wolle es sich vor den Augen des Himmels in den Boden drücken. Die Risse im Putz wirkten wie eine Bestätigung dessen – als ob die Wände dieser Schwere nicht lang mehr standhalten wollten.
    Greider hielt vor dem Haus an, befreite das Maultier von seiner Last, schulterte die Satteltaschen und blickte sich etwasratlos um, bis sich aus der umstehenden Menge wortlos zwei Männer lösten; der eine, um das übrige Gepäck aufzunehmen, der andere, um die Zügel des Tieres zu ergreifen und es wegzuführen.
    Als Greider die dunkle, karge Wirtsstube betrat, war die schon ganz gefüllt. Kaum einer an den groben Holztischen bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, sein Hiersein hätte einen anderen Zweck, als den Fremden aus der Nähe zu beäugen. Mit unverhohlener Neugier grienten die meisten ihn an, und die wenigsten senkten ihre Stimme, wenn sie Bemerkungen – selten freundliche – über ihn austauschten.
    Nur ein Tisch war frei geblieben, und es wird kaum Zufall gewesen sein, dass der grade bei einem der dicken, trüben Fenster stand. Bis Greider dort Platz genommen hatte – so gut als möglich sich unbekümmert gebend, als wäre Sonntag und er im heimischen Wirtshaus –, drängte sich schon draußen die Menge an der Scheibe, um einen ausführlichen Blick auf den seltsamen Neuankömmling zu werfen.
    An dem Dutzend Tische ringsum hatte noch niemand zu trinken. Der Wirt hatte um diese Zeit nicht mit Gästen, erst recht nicht mit einer vollen Stube gerechnet. Die Bedienung hatte man offenbar eben erst herbeigerufen, sie hatte sich grade die Schürze umgebunden, die Haare notdürftig zu einem zausligen Dutt hochgesteckt und machte sich daran, die ersten Bestellungen einzuholen. In Greiders Nähe aber wurde sie gar nicht gelassen. Sobald er sich auf die speckig schwarze Bank am Fenster gesetzt hatte, den Rücken den Neugierigen draußen zugekehrt, kam der Wirt selbst hinter seinem Schanktisch hervor; ein Mann, der wie zu straff in seine prall glänzende Haut gestopft wirkte, mit fettigen, kurzen Locken und einem gewaltigen Kropf. Er durchquerte mit plumpen Schritten die Wirtsstube, stellte, ungefragt und wortlos, ein gedrungenes Glas vor Greider. Aus einem Steingutkrugschenkte er es voll mit einer schlierig hellen Flüssigkeit, deren scharfer Schnapsgeruch sogleich aufwolkte. Dann blieb er am Kopfende des Tisches stehen, die Hände mit dem Krug vor seiner ledernen Schürze verschränkt, und schaute mit blitzenden Äuglein Greider an – auf den alle Blicke im fast still gewordenen Raum gerichtet waren.
    Greider griff sich das Glas, hob es erst dem Wirt, dann den rundum Versammelten entgegen, setzte an und trank es in einem Zug leer. Kurz kniff er die Augen zusammen, einen Moment riss es ihm die Mundwinkel nach unten, dann ließ er nur ein leises, befriedigt klingendes »Aaaahh« entfahren, wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und hielt dem Wirt das Glas hin. Der grinste, halb hinterfotzig, halb anerkennend, schenkte nach und stapfte dann mitsamt dem Krug zu seinem Schanktisch zurück. An den Tischen in der Stube nahm man das Gespräch wieder auf.
    Vielleicht eine Stunde mochte Greider im Wirtshaus gesessen haben. Er blieb allein an seinem Tisch, obwohl die neugierigen Blicke, manche verstohlen, manche ganz offen, nicht weniger wurden und sicherlich die meisten rundum geführten Gespräche ihm galten. Wenn ein Augenpaar das seine fand, dann wich er ihm nicht aus, schaute aber nie herausfordernd zurück, sondern ließ seinen Blick wie beiläufig weggleiten.
    Es waren einfache Menschen, die Greider da seinetwillen im Wirtshaus versammelt sah – von der Arbeit massig gewordene oder ausgezehrte
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