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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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fragwürdig und grausam gewesen sein mochte, die aber immerhin auch eines gewesen war: vertraut. Freiheit ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt. Greiders Anwesenheit machte auch alle die, die erleichtert aufatmeten – und es war besser, nicht zu wissen, welche Gruppe in der Mehrheit war –, verlegen. Denn Greider war die einzig lebende Erinnerung daran, dass nicht alles schon immer so war wie jetzt. Außer der Erinnerung in ihnen selbst – aber die vermochten sie niederzuhalten und fortzusperren. Er jedoch war das wandelnde Zeichen ihrer Schande, war nicht zuletzt gerade für die, die das Joch des Brenner für kaum erträglich gehalten hatten, das Mahnmal in Menschengestalt, dass keiner von ihnen je gehandelt hatte. Dass es Greider gebraucht hatte, um sie zu befreien. Das verziehen sie ihm nicht.
    Ein paar wenige Male war Greider dennoch ins Dorf geritten, einfach um zu sehen, was passieren würde, hatte sich einmal sogar ins Wirtshaus gesetzt. Aber es hatte ihn nur an seine Ankunft erinnert. Man war ihm aus dem Weg gegangen, soweit man konnte, und hatte ihn hinter seinem Rücken begafft. Kurz hatte er überlegt, ob er in den Krämerladen gehen und etwas kaufen sollte. Aber er sah die bleiche Unverbindlichkeit, mit der man ihn dort bedienen würde, direkt vor Augen, und er verzichtete mit Grausen.
    Einmal noch ritt er ins Innere des Tals hinein, wenige Tage nach dem Tod des Brenner. Es war ein sonniger, kalter Tag,und der Hof lag in dunklen Trümmern, aus denen sich noch immer feine Rauchschwaden in die klare Luft erhoben. Sonst war dort nichts mehr, und Greider spürte, dass auch dieser Ort für ihn seine Bedeutung verloren hatte. Vor dem Hof lagen nur wenige starre, kaum aufgequollene Kadaver von Vieh, das verhungert oder erfroren sein musste, weil es von seinem einstigen Heim nicht lassen konnte. Die meisten Tiere aber hatten offenbar ihr Glück auf Gedeih und Verderb woanders gesucht oder hatten neue Besitzer gefunden. Mehrmals hatte Greider Huftritte am Haus der Gaderin vorbeistapfen hören und gewusst, dass wieder ein Bauer die Gelegenheit genutzt hatte, seine Herde zu vergrößern.
    Auch die Kirche hatte er noch einmal aufgesucht. Luzi hatte ihm berichtet, dass man den Pfarrer und die BrennerSöhne gefunden und bestattet hatte, den Pfarrer mit halbwegs gebührlicher Zeremonie, die Brenner-Söhne ganz ohne. Greider fand die frischen Gräber. Nur auf dem Breisers stand ein Name. Im Gotteshaus hatte jemand den Beichtstuhl notdürftig gesäubert und die von ihm abgesplitterten Teile aufgeklaubt.
    Man würde sich wohl im Frühjahr, wenn der Weg ins Tal wieder frei war, um einen neuen Geistlichen bemühen müssen. Bis dahin blieb die Kirche leer. Der Gemeinde war augenscheinlich nicht danach, sich dort zu versammeln. Ob in den Häusern in jenen Tagen viel gebetet wurde, das konnte Greider nur vermuten.
    Und so geschah es, dass, wenige Tage nachdem der letzte Pinselstrich getan und das Gemälde getrocknet war, Greider es von seinem Rahmen spannte und zusammenrollte. Er nahm auch das Porträt von der Wand und rollte es um das frische Bild. Dann ließ er die Leinwand in ihr Lederfutteral gleiten.
    Seine wenigen Sachen waren bald wieder in seinem Reisegepäck verstaut. Das Gewehr schlummerte schon seit dem ersten Tag wieder in seiner dunklen Röhre.
    Lukas half Greider, die Taschen hinunterzutragen. Mit der letzten in der Hand, wandte sich Greider noch einmal um und warf einen Blick in die Kammer, die ihn so lange beherbergt hatte. Ohne seine Habe war sie wieder ein fremder Raum. Er zog die Tür zu.
    Es dauerte etwas, bis alles Gepäck wieder so auf dem Rücken des Maultiers befestigt war wie am Tag von Greiders Ankunft. Aber schließlich war er reisefertig.
    Der erste Föhnsturm war Ende Februar über die Gipfel herabgebraust, und er hatte so lange seine aufgestaute Macht entladen, bis die Schneedecke in sich zusammengesackt war, bis sie feucht und schwer wurde und dann Risse bekam.
    Es war ein trügerischer Vorbote, war nicht der Frühling, sondern ein neckischer Imitator. Noch manche Male würde es in den kommenden Wochen schneien, bis der Winter das Hochtal wirklich aus seinem Griff ließ. Aber da das Tauen mit jedem Meter hinab ins Tal nur noch stärker sein musste, war es genug, um den Abstieg zu wagen.
    Luzi, Lukas und die Gaderin hatten sich vor dem Haus versammelt, das sie nun würden selbst in Besitz nehmen können. Lukas reichte Greider die Hand zu einem festen Druck, die Gaderin nahm
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