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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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verächtlichen Lächeln auf die Waffe und breitete die Arme über seinem hinfälligen Körper aus. Nein, da war keine Gefahr mehr, und Greider kam sich auf einmal lächerlich vor mit der Flinte, nahm sie herunter, als wäre sie ihm peinlich geworden.
    »Da bist du«, sagte der Brenner, eine knappe, klare Feststellung.
    Es war keine Kapitulation, keine Resignation, aber es war das Erreichen eines Endes. Die Stimme des Alten formte ihre Laute mit schwachen Lungen und brüchigen Stimmbändern, aber der Kern ihrer Worte war hart und fest.
    Greider konnte nicht mehr sagen als: »Ja.«
    Brenner wartete, zuckte mit den Schultern, wie um zu fragen: ›Und, ist das alles?‹, aber als er merkte, dass da nicht mehr kam, winkte er Greider zu sich. Der erstarrte.
    »Komm«, forderte ihn Brenner auf, ungeduldig ob der Anstalten, die taten, als müsse Greider noch immer einen Hinterhalt fürchten. Als läge das jetzt nicht alles hinter ihnen.
    Zögerlich schritt Greider zu dem Bett, und es brauchte noch ein insistierendes Klopfen auf die Decke, dass er sich tatsächlich – mit einer Miene, als würde er selbst nicht glauben, was er da tat – auf der Bettkante niederließ. Wäre jetzt jemand in das Zimmer gekommen und hätte das Gewehr nicht bemerkt, das ungelenk, verschämt neben Greider lehnte, er hätte einen friedlichen Krankenbesuch gesehen.
    »Lass dich anschauen«, verlangte Brenner und fasste Greiders Gesicht mit der Rechten. Die Hand war knorrig, rauh und kalt, aber sie hatte noch Kraft. Brenner drehte Greiders Kopf in dem fahlen, staubdurchtanzten Licht, das durch das einzige Fenster fiel, hin und her, und Greider ließ es geschehen.
    »Du bist also…«, sagte Brenner. Und dann machte er eine kleine Pause, warf noch einen durchdringenden Blick auf das Gesicht. »…ihr Sohn«, vollendete er, das ›ihr‹ betonend, als hätte er einen Moment zuvor noch etwas anderes sagen wollen.
    Es war keine wirkliche Frage mehr gewesen, aber Greider nickte dennoch.
    Es drängte ihn, etwas zu sagen, aber er fand keine Worte.
    »Und die Meinigen?« fragte Brenner stattdessen und zupfte, wie um sich selbst zu antworten, am Ärmel der blutbefleckten Jacke, die Greider trug und die er offensichtlich wiedererkannte.
    »Alle tot«, sagte Greider. So lange hatte er vom höhnischen Triumph, von der überlegenen Kälte geträumt, in die er diese Botschaft kleiden wollte – und nun wollte ihm davon nur ein schlechtes Schauspiel gelingen.
    Der Brenner sog, wie zu einem tiefen Seufzer, aber tonlos, seine Lunge voll Luft, hielt diese einen Moment an und schloss die Augen. Dann ließ er den Atem entweichen und öffnete sie wieder. Sie waren trocken und leer.
    »Alle«, wiederholte er, und dann schaute er Greider an mit Verachtung, aber auch mit einem grausam lächelnd hochgezogenen Mundwinkel, der Greider zu fragen schien, ob er nicht den finsteren Witz begriff, den dieses Wort beinhaltete.
    »Im Tal hat’s freilich noch mehr«, begegnete Greider dem Hohn Brenners, und diesmal lag echter Ekel in seinem Ton.
    Dieser Gedanke schien Greider aus einer Benommenheit zu wecken und ihn wieder daran zu erinnern, was ihn hierher geführt hatte. Er packte Brenner bei der Hemdbrust und zog ihn zu sich heran, bis ihre Stirne sich fast berührten.
    »Du Schwein, du elendes Schwein«, zischte er den Alten an, der dies ungerührt, als hätte er darauf schon lange gewartet, über sich ergehen ließ. Aber schon als er sie im Mund hatte, fühlten sich Greiders Worte plötzlich ungemein schal und abgeschmackt an.
    Er ließ den Alten zurücksinken. Der strich sein Hemd, strich die Bettdecke glatt.
    »Willst wissen warum?« fragte er Greider, als hätte es dessen fruchtlosen Zornesausbruch nie gegeben. Es war keine wirkliche Frage, es war eine Bitte um Erlaubnis, das Folgende sagen zu dürfen. Greider, der sein Gesicht halb abgewendet hatte, gab diese mit einem gleichgültigen Nicken.
    Jetzt griff Brenner den anderen und zog ihn energisch zu sich her, bis dem sein säuerlicher Atem direkt in die Nase fuhr. »Weil ich
bleiben
wollt’! Weil alles ich sein sollt’, ich!« stieß er in einem heißen Keuchen hervor, mit plötzlich aufgerissenen, fiebernden Augen und einer glühenden Verzweiflung, aus der die ganze Gier sprach nach dem immerwährenden Überleben und die ganze Enttäuschung über dessen Unmöglichkeit. So schnell es aufgelodert war, verflackerte dieses Feuer wieder, und es kam etwas fast Entschuldigendes über das Gesicht des Brenner. Als fände er das
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