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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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Jahre.
    Die Türen zu den meisten Zimmern – enge, schiefeckige Löcher in der Mauer – standen offen. Greider schritt langsam vorwärts, das Gewehr vor sich haltend, und lurte vorsichtigin jeden der Räume. Aber das war nicht mehr als ein Ritual, eine Beschwichtigung des Schicksals, um es nicht noch zu einer bösen Überraschung herauszufordern. Greider schien in diesen Räumen nichts mehr zu erwarten. Eigentlich zog es ihn vorwärts den Gang hinunter, als wäre er hier schon einmal gewesen, als wüsste er genau, welche Kammer er suchte.
    Er ließ die menschenleere Stube links, die kalte, verlassene Küche rechts liegen.
    Wo Türen entlang des Gangs geschlossen waren, da öffnete er sie mit derselben pflichtgemäßen Vorsicht. Aber keiner der Räume barg etwas, und keiner war ihm mehr wert als einen kurzen, bestätigenden Blick. Nur in einer Kammer fast am Ende des Gangs, die nichts enthielt als ein schmales Bett unter einem kleinen Fenster, blieb er länger auf der Schwelle stehen.
    Er hatte auch, einen Moment zögernd, die frei stehende Treppe aus schweren, schwarzen Holzdielen passiert, die in der Mitte des Gangs nach oben führte. Jetzt hörte er an ihrer oberen Mündung geschäftige Geräusche. Ein Paar Füße erschienen dort. Dann Waden, die in einem Rock verschwanden. Dann zwei, drei solcher Paare mehr. Sie huschten die knarzende Treppe herab, zwei der Gestalten eine andere stützend. Greider hielt sein Gewehr bereit, aber er legte nicht an, als wüsste er, dass das nicht nötig war. Die Gestalten erreichten den Flur und wendeten sich kurz um. Greider sah bleiche, ausgezehrte weibliche Gesichter, die ihn angstvoll anstarrten und sich dann hurtig wieder abwandten. Eilig huschten die Erscheinungen den Gang entlang zur Tür, stießen sie auf, verschwanden im gleißenden Weiß.
    Greider drehte sich wieder um und schritt weiter.
    Es blieb nur noch eine Tür, die letzte, schwarze am Ende des Gangs.
    Vor ihr blieb er stehen. Er verharrte etliche von der unsichtbarenUhr teilnahmslos klackend abgemessene Sekunden. Nun war tatsächlich Angst in seiner Haltung zu erkennen. Jedoch nicht die Furcht vor etwas Unerwartetem – sondern die Angst vor dem letzten, großen Schritt.
    Endlich kam Entschlossenheit in seine Züge, und nur kurz schien er unsicher, ob er an der Tür klopfen oder sie mit rascher Gewalt aufstoßen sollte.
    Dann drückte er einfach sacht und bestimmt ihre eiserne Klinke herab und öffnete sie.
    Der Blick des Alten traf ihn zuerst im Spiegel. Das Bett stand links von der Tür, mit dem Kopfende zum Eingang. Und an der gegenüberliegenden Wand hing das Schauglas über einem Waschtisch, kaum größer als ein Porträt, rahmenlos, grau, halb blind. Doch die Augen darin kannten keine Unschärfe. Sie hatten auf den Ankömmling gewartet, hatten gewusst, wo sie genau seinem Gesicht begegnen würden, wenn er die Tür auftat.
    Der Brenner begrüßte Greider mit einem Nicken. Es war der Gruß von einem, der zu lange hatte harren müssen auf etwas, dem er sich nicht entgegensehnte, dessen Unausweichlichkeit er aber anerkannte.
    Greider wusste diesen Gruß nicht zu erwidern.
    Er betrat die Kammer, die größer war als die anderen im Haus, aber genauso karg, und wandte sich dem Bett zu.
    Der Brenner lag unter einer ausgedünnten, gilbweißen Daunendecke, aus der seine Arme hervorragten und sein Oberkörper, der auf ein Kissen gestützt halb sitzend gegen das Kopfstück des Holzbetts lehnte. Er trug ein weißes Hemd, das ebenso gut aufwandlose Tageskleidung sein mochte wie Nachtgewand. Sein Gesicht war noch eingefallener, als Greider es das letzte Mal gesehen hatte, das Fleisch der Wangen schien fast lose zwischen Backen- und Kieferknochenzu hängen, die faltige, fleckige Haut spannte sich noch durchscheinender um den Schädel, der klein geworden schien wie der eines Kindes. Das Haar hing strähnig vom Kopf, die schlohweiße Mähne war zum welkenden Siegerkranz geworden.
    Nur zwischen Augen und Kinn hielt sich noch ein wacher, unbeugsamer Wille eingegraben und verteidigte bis zum Letzten seine Stellung gegen den Verfall. Es war das einzig verbliebene Reich, über das der wahre Brenner noch herrschte.
    Noch war kein Wort gefallen. Greider betrachtete den Alten, und der schaute auffordernd zurück wie mit einem ›Nun, sieh mich an‹. Greider hatte, kaum dass er die Klinke niedergedrückt hatte, das Gewehr hochgenommen, halb in den Anschlag, und so schlich er jetzt auch um das Bett. Doch Brenner deutete mit einem
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