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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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Samstag
    Ich ahnte nichts Gutes.
    Auf einem Extrateller neben dem geblümten Platzdeckchen lag ein kleiner, undefinierbarer Klumpen. Er hatte die gleiche verdächtige Farbe wie die Fleischfetzen, die unter die Fettaugen in der Suppe abgetaucht waren. Die Suppe selber war ein hellgelber, tiefgefrorener Quader gewesen, bevor sie in der Mikrowelle dunkelgelb, trübe und flüssig geworden war.
    »Ich bin gespannt, ob du raten kannst, was für Fleisch des ist«, sagte Susanna in ihrem pfälzisch angehauchten Dialekt und schöpfte mir den Teller randvoll.
    »Ich bin auch gespannt«, gab ich zu, nahm einen Löffel und kaute tapfer auf einem Fleischfetzen herum.
    »Und?« wollte Bruno wissen und zog den Rotz in seiner Nase hoch.
    Ich kaute noch. Es schmeckte ein bisschen eigenartig, aber das schob ich darauf, dass die Suppe sicher schon oft aufgetaut und wieder eingefroren worden war.
    »Und?«, fragte Bruno wieder, wobei er erneut schniefte.
    »Ziege?«, riet ich.
    »Nein.« Susanna und Bruno freuten sich.
    »Pferd?«, fragte ich. Ich traute ihnen mittlerweile alles zu.
    »Nein!«
    »Dann vielleicht Hirsch, Reh, Schwein, Rind, Tiger?« Pfui, Teufel, welches Viehzeug pflegte der Mensch denn noch alles zu verzehren?
    »Nein!«
    »Dann weiß ich es nicht.« Ich kapitulierte und nahm noch einen Löffel von dem trüben Zeug. Diesmal schluckte ich, ohne das Fleisch zu zerkauen. Sicher war sicher.
    »Hase«, verriet Susanna schließlich.
    Hase also nahm gekocht, tiefgefroren und wieder aufgetaut diese seltsame graue Farbe an. Na fein, dann hatte ich wieder etwas dazugelernt. Hätte ja auch was Schlimmeres sein können.
    »Hase ist mein Lieblingsfleisch«, informierte mich Bruno in breitem Pfälzisch und machte sich daran, den mysteriösen, grauen Klumpen auf dem Extrateller zu verzehren.
    Der Klumpen hatte mehrere Löcher, und obwohl ich versuchte, mich auf meine Suppe zu konzentrieren, beobachtete ich gleichermaßen gelähmt und fasziniert, wie Bruno ein paar graue Fetzen abzupfte und verschlang, um dann den Klumpen an den Mund zu setzen, daran herumzuschmatzen und etwas aus seinem Inneren zu schlürfen.
    »Lecker«, sagte er und zog zufrieden den Rotz hinterher. »Daheim haben mir uns immer drum gestritten, wer's Köpfle bekommt, aber die Suse mag's halt net so gern wie ich.«
    Ich ließ meinen Löffel in die Suppe sinken.
    »Dabei ist das Beste und Gesündeste am ganzen Hasen das Hirn«, meinte Bruno und zog die Nase hoch.
    Das also war Bruno. Warum hatte ich ihn mir bloß so anders vorgestellt?
    Groß sei er, hatte Susanna geschrieben, und das stimmte auch. Groß und fett, mit einem doppelten Doppelkinn und über den Hosenbund quellenden Wanst.
    Blond sei er, hatte Susanna geschrieben, auch das stimmte. Jedenfalls an den wenigen Stellen, an denen er noch Haare hatte. - Zum Beispiel in den Nasenlöchern.
    Ein nettes Lächeln habe er, hatte Susanna geschrieben. Ich konnte mir zwar lebhaft vorstellen, wie sich bei dieser Gelegenheit seine Nasenhaare sträubten, aber wirklich beurteilen konnte ich es nicht, weil er bis jetzt noch kein einziges Mal gelächelt hatte.
    Nein, so hatte ich ihn mir wirklich nicht vorgestellt.
    Susanna und ich hatten uns eine Wohnung geteilt, als ich nach dem Abi von der ZVS in eine süddeutsche Kleinstadt verbannt worden war. Obwohl wir uns über eine Kleinanzeige gefunden hatten, war uns beiden schon bei der ersten Begegnung klargeworden, dass wir Seelenverwandte waren.
    Außerdem war Susanna gewesen, was ich hatte werden wollen: flippig, lässig, völlig unkonventionell und ein paar Jahre älter. Sie hatte über beeindruckende Erfahrungen mit Männern, Ohrlöchern, Semesterjobs, aufdringlichen Vermietern und Drogen verfügt.
    Mit Susanna hatte ich meinen ersten Joint geraucht. Wir brannten Räucherstäbchen ab und hörten Reggae dazu. Peter Tosh sang »Legalize marihua-a-ana, hu, hu, hu«, als ich beglückt meinen ersten Zug aus dem Pfeifchen tat und hu, hu, hu-keuchend zusammenbrach.
    Es war mein erster und letzter Joint gewesen und nur einer von vielen nützlichen Lernprozessen, die ich Susanna zu verdanken hatte.
    Sie war es auch, die mir unter Zuhilfenahme einer Banane beibrachte, wie ein Kondom artgerecht benutzt wird, wie man aus alten, angegrauten Unterhosen mit etwas Textilfarbe in der Waschmaschine im Handumdrehen schwarze Reizwäsche macht und wie man Canabis oder Pflanzen, die beinahe genauso cool aussehen, im Blumentopf zieht.
    Wir hausten glücklich und vollkommen genügsam in zwei
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