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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman
Autoren: Kerstin Gier
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runterfielen. Keine Bettdecke der Welt konnte so dick sein! Es rührte sich aber nichts in Holgers Wohnung, obwohl er nicht wissen konnte, welch schwerwiegende Verletzungen ich mir bei dem Sturz zugezogen hatte.
    Ich rappelte mich mühsam auf, richtete das Schutzblech mit ein paar gezielten Fußtritten und machte mich schlechtgelaunt auf den Weg zur Uni.
    Von zehn bis zwölf hatte ich ein Seminar in Literaturwissenschaft über Astrid Lindgrens »Ronja Räubertochter«. Da ich mir einbildete, mir mein kindliches Gemüt bewahrt zu haben, hatte ich den Kurs in der Hoffnung belegt, die an die Kinder gerichteten Botschaften unverschlüsselt zu empfangen.
    Leider war ich sehr schnell eines Besseren belehrt worden. Zwar hatte ich mir mein kindliches Gemüt bewahrt, aber offensichtlich nichts mehr gemein mit den kindlichen Gemütern, für die das Buch geschrieben worden war.
    Nach zwei Sitzungen wusste ich, was die anderen schon vorher gewusst hatten, dass nämlich Astrid Lindgren hier das heikle Thema der vorpubertären Sexualität aufgegriffen und in kindgerechter Form zu einem psychologisch hochbrisanten Stoff verarbeitet hatte. Ich wollte nicht glauben, dass die skurrilen Fantasiewesen, die Dunkeltrolle, Wilddruden und Rumpelwichte, Symbole für Sadismus, Masochismus, Voyeurismus und Exhibitionismus darstellten, obgleich im Seminar jeder außer mir das auf den ersten Blick erkannt hatte.
    Anfangs saß ich verblüfft, später enttäuscht und schließlich trotzig, in jedem Fall aber stumm dabei, wenn über die offenkundig zutiefst inzestöse Vater-Tochter-Beziehung gesprochen wurde, oder - wie heute - über die Rolle der Mutter in der psychosexuellen Entwicklung der Räubertochter.
    Ich weigerte mich auch in dieser Stunde bockig, an derartig entarteten Betrachtungen teilzuhaben, was aber gar nicht weiter auffiel, weil ich für die anderen diesbezüglich sowieso nicht als kompetent galt.
    Gleich in der ersten Sitzung, als es um das Thema sexuelle Belästigung bei Ronja Räubertochter im Allgemeinen und den Seminarteilnehmerinnen im Besonderen gegangen war, hatte man mich nämlich als zurückgebliebene Außenseiterin entlarvt.
    Ich hatte gar nicht gewusst, dass die Welt und die Männer so schlecht waren! Busengrabscher und Exhibitionisten in der Straßenbahn, im Hausflur, zwischen Supermarktregalen, hinter jeder verfluchten Laterne von hier bis Hamburg. Als die Reihe an mir gewesen war, war es mir fast peinlich gewesen, zugeben zu müssen, keine persönlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet vorweisen zu können. Daraufhin war ich mit ungläubigen und verachtungsvollen Blicken bedacht und für immer in meiner Ecke vergessen worden.
    Zumal ich auch nicht rothaarig war.
    In der Reihe mir gegenüber saßen allein sechs Frauen, die sich einen dieser modischen Rottöne ins Haar gewaschen hatten. Es gab alle Nuancen Rot, vom Hersteller mit ebenso fantasievollen wie offenbar kauffördernden Namen bedacht. Besonders beliebt waren Obst- und Gemüsesorten aus dem sonnigen Süden wie Mandarine, Paprika, Aubergine, Papaya und Granatapfel. Die Frau ganz außen hatte die Farbe »Flamingo« ausprobiert, die ich deshalb sofort beim Namen nennen konnte, weil ich sie selbst einige Wochen auf meinem Kopf herumgetragen hatte. Von wegen auswaschbar nach fünf bis sechs Wäschen! Fünf bis sechsmal hatte ich die Haare sofort gewaschen, kaum dass ich das verheerende Ergebnis gesehen hatte. »Flamingo« klingt auch entschieden kaufanzreizender als »Pavianhintern«, welches der zutreffendere Name gewesen wäre. Ich bin mir fast sicher, dass ich von einer Farbspülung dieses Namens die Finger gelassen hätte.
    Direkt neben dem Pavianhintern saß eine Mutige, die sich an »Wildpflaume« herangewagt hatte und deren Haar so lila geworden war wie ihre Gesinnung. Ihre Freundin daneben war eine ehemals Dunkelbraune, die es - den Möglichkeiten, die die Shampooindustrie einem heute in jedem Supermarkt offeriert, zum Trotz - mit einer ganz brutalen, guten, alten Hennamischung versucht hatte. Garantiert nicht auswaschbar.
    Nachdem sich alle Seminarteilnehmerinnen ausgiebig zur Bedeutung ihrer Mütter für die Wahl ihrer Haarfarben und ihre psychosexuelle Entwicklung geäußert und Parallelen zu Ronja Räubertochter gezogen hatten, versuchte die Dozentin - Granatapfel oder Blutbuche - sichtlich widerwillig, das Augenmerk zurück auf literaturwissenschaftlich relevante Bereiche zu lenken. Sie fragte, ob jemand bei der Namensgebung der Frauengestalten etwas
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