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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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Monaten der Entbehrung den Menschen Nahrung geben konnte, und der unverwertbare Rest stand in trügerischem Trotz und harrte dem Tod durch den ersten Frost.
    Jetzt, da sein Wegziel so gut wie erreicht war, nahm sich der Fremde Zeit, ließ das zuvor so harsch angetriebene Maultier gemächlich einhertrotten, gönnte ihm gelegentliche Bissen vom Gewächs am Wegrand. Immer wieder blickte er sich um im Rund der Ebene, schien ihr Bild mit den Augen aufzusaugen, er lauschte, schnupperte. Als wäre er an den Ort einer lang vertrauten Legende gekommen und müsse nun jeden Eindruck korrigierend, ergänzend, bestätigend vergleichen mit der Vision, die er schon seit Jahren im Kopf trug.Als wolle er seine vorläufige Einsamkeit an diesem Ort auskosten und den Moment hinauszögern, an dem er hier auf einen Menschen treffen würde.
    Wieder und wieder ging sein Blick nach oben, suchte den Saum der Bergrücken ab – bis er schließlich das einzige Gipfelkreuz entdeckte, das den Kesselrand zierte. Lange verharrte er in dessen Betrachtung.
    Schließlich aber war doch der Zeitpunkt gekommen, an dem sich unleugbar bewies, dass er nicht allein war hier im Tal. Von Weitem schon hatte er die Gestalt gesehen – ein kleiner Bub, der nahe dem Weg im Gras spielte. Anfangs hatte er ihn nicht genau ausmachen können, aber bald war er nahe genug, um das helle Hemd, die dunklen Hosen und das braune Gesicht unter dem strubbeligen schwarzen Haar zu erkennen. Eine ganze Weile schritt er auf dem Weg dahin, ehe auch der Bub ihn zu bemerken schien. Er hörte auf zu spielen, richtete sich auf, stapfte durch die hohe Wiese zum Rand des Weges und blieb dort stehen, den Blick starr auf den Fremden mit seinem Maulesel gerichtet, der da auf ihn zukam.
    Sie hatten einander nun fest in den Augen, aber noch war die Strecke zwischen ihnen zu weit, um sie mit freundlicher Stimme zu überbrücken. Das Kind stand stocksteif da, die Fäuste in die Hosentaschen gestemmt – und dem Mann schien seinerseits ein Winken nur falsch und gespielt wirken zu können. So blieb ihm nichts, als festen Schrittes voranzugehen. Doch nun war sich jede seiner Bewegungen der Beobachtung bewusst, sein Gang verlor jede natürliche Selbstverständlichkeit und bemühte sich um einen Eindruck von freundlicher Gesinnung, harmlosem Wohlwollen.
    Nach einer Ewigkeit, in der die Schatten des frühen Nachmittags nicht einmal einen Zentimeter vorankamen, waren die beiden sich endlich nahe genug, um ohne großes Hebender Stimme eine Unterhaltung zu führen. Doch sie schwiegen noch immer. Der Fremde verlangsamte seinen Gang, lächelte dem Buben, der ihm kaum bis zur Hüfte reichte, zu. Im Blick des Kindes aber lag nichts Freundliches. Groß und dunkel waren seine Augen, die ohne Scheu in die des Mannes starrten und ihn dann von oben bis unten musterten. Die Augenwinkel und die blassen Lippen bargen etwas Verkniffenes, das zu alt war für die Lebensjahre des Kindes. Selbst wenn der Fremde einem so jungen Gesicht echten Hass zugetraut hätte, wäre dieser noch etwas zu Lebendiges gewesen für das, was er in diesen Zügen sah.
    Das Kind schwieg. Der Mann war stehen geblieben, obwohl der Bub ihm nicht den Weg versperrte. Lange Atemzüge verharrten sie so. Dann, gerade als der Fremde zu einem Wort anheben wollte, zog das Kind die Fäuste aus den Taschen, drehte sich um und rannte quer über die Wiese fort, auf das Dorf zu, das in der Ferne zu erkennen war.
    Was sollte hinter all dem mehr gesteckt haben als das verständliche Verhalten eines Kindes, das wohl in seinem ganzen Leben nie jemanden gesehen hatte, den es nicht aus der kleinen Gemeinschaft der Talbewohner kannte? Es war hier keine Gegend, die zur Neugier und Offenheit erzog und wo das Unbekannte willkommen war.
    Aber dem Mann blieb nach der Begegnung mit dem Kind ein seltsames Gefühl. Es schien unzweifelhaft, dass er im Dorf erst ankam, nachdem Kunde von ihm schon längst eingetroffen war. Kein Mensch war zu sehen vor den Höfen, die den Weg in die Siedlung säumten, doch sobald er an einem von ihnen vorbei war, meinte er, hinter sich das Geräusch sich öffnender Fensterläden zu hören.
    Das Dorf war eine Ansammlung von vielleicht zwei Dutzend dunklen Gebäuden, die jenen wenigen Bauernhöfen glichen,die versprengt im Tal lagen. Die Siedlung hatte etwas trutzig Gedrängtes, als hätten ihre Erbauer nur deswegen widerwillig die Nähe zueinander gesucht, weil die Abneigung gegen die übrige Welt in ihnen einen Druck aufbaute, der alles
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