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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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Leiber mit markigen Köpfen, aus denen langsame, aber zielstrebige Augen schauten, mit Mündern, die Essen und Trinken begierig aufnahmen, aber gründlich daran zehrten, Mündern, denen die Worte nicht schnell und leichtfertig entkamen. Sie waren gekleidet in zweckmäßiges, gewohntes Gewand, das Jahr um Jahr mit sturer, sorgfältiger Beharrlichkeit ausgebessert und reinlichgehalten wurde. Sie füllten die Stube mit einem Dunst, der ihnen eigen und gemeinsam war, der nach Tagwerk und Ertrag, nach Unbeirrbarkeit und misstrauischer Gottgefälligkeit roch. Es war Herbst in ihren Herzen, jene Zeit, das Erarbeitete zu ernten und als Vorrat zu wahren und sich auf die kommende Kälte vorzubereiten. Keine Zeit, in der man gern das Klopfen eines Fremden an der Tür hört.
    Ab und zu drehte Greider sich um zum Fenster, um zu sehen, ob sich daran noch immer Gesichter drückten, und um zu verfolgen, wie das Licht des klaren Tages langsam fahler wurde. Bei einem dieser Blicke durch das uneben dicke Glas, das Wellen und Blasen in die Welt dahinter malte, bemerkte Greider auf der gegenüberliegenden Seite des Hauptplatzes wieder den Einspänner, der vor Greiders Betreten des Wirtshauses aus dem Dorf geprescht war. Der junge Mann, der ihn gelenkt hatte, stand neben dem dampfenden Pferd, die Zügel in der Hand, und sprach eindringlich mit dem Bärtigen, der zuvor das Wort geführt hatte und der offenbar die ganze Zeit über das Wirtshaus von außen im Auge behalten hatte. Nach einer Weile nickte dieser.
    Greider wandte den Rücken zum Fenster, sobald er sah, dass der Bärtige sich in Bewegung setzte. Diejenigen, die Greider noch immer forschend anstarrten, mochten jetzt ein leises Lächeln auf seinem Gesicht entdecken, wie er so dasaß, die Hände um das Glas vor ihm gelegt, ruhig der Dinge harrend. Lang musste er nicht warten, da öffnete sich die schwere Tür. Der Bärtige trat in die Wirtsstube und fand zielstrebig seinen Weg zu Greiders Tisch. In der tuschelnden Stille, in die sein Eintreten das Murmeln der Gespräche verwandelt hatte, knarzten die Dielen laut unter seinen klobigen Schuhen. Die Bank am Fenster war plötzlich wieder Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit.
    Mit fromm fragenden Augen blickte Greider fast frech zudem Mann hoch, der sich vor ihm aufpflanzte, breitbeinig, die Daumen in seine Weste gehakt. Einen Moment schien der Bärtige auf ein Wort Greiders zu warten, aber der blieb stumm. Also musste er selbst mit der Sprache heraus, wobei ihm die Worte so widerwillig zwischen den Zähnen herauskamen, als seien sie ranzig.
    »De Gader-Wittib. De könnt wen brauchen im Haus, für’n Winter. Einen, der hilft«, verkündete er. Und beeilte sich hinzuzufügen: »Wennsd’ zahlst.«
    Greider nickte zufrieden, als hätte man ihm eben am Empfang eines Hotels zuvorkommend versichert, dass genau das von ihm gewünschte Zimmer frei sei und als hätte er nichts anderes erwartet. Er trank den letzten, aufgesparten Schluck aus und erhob sich wortlos.
    Noch weniger als das Überbringen des im Sinne des Frem den ausgefallenen Bescheids schmeckte dem Bärtigen ganz offensichtlich die Selbstverständlichkeit, mit der Greider diesen aufnahm. Ein leichter Zornesanflug huschte über sein Gesicht, bevor er sich in den Griff bekam und Greider mit einer Armbewegung aufforderte, den Weg aus dem Wirtshaus als erster anzutreten. Hinter Greiders Rücken warf er sodann einen funkelnden Blick in die Runde, der alle Versammelten sofort wieder großes Interesse an ihren zuvor unterbrochenen Gesprächen finden ließ. Erst als die Tür sich hinter den Männern geschlossen hatte, wagten die meisten Köpfe, sich erneut nach dem leeren Raum umzuwenden, den die beiden zurückgelassen hatten – als hegte man Hoffnung, so etwas wie ein sichtbares Echo des eben über diese bescheidene Bühne gegangenen Schauspiels zu erhaschen. Dann schienen sich innerhalb kürzester Zeit alle, die vor Kurzem noch wie auf ihren Bänken festgewachsen waren, zu besinnen, dass heute eigentlich kein Tag sei, den man gottgefällig im Wirtshaus zubringen dürfe, und mit einem Mal kamen Bedienungund Wirt kaum nach mit dem Kassieren all der zu begleichenden Zechen.

II
    Nach dem schweißigen Dunst der Wirtsstube schnitt Greider die Kälte des Hochtals eisig ins Gesicht. Drinnen hatten Rauch und Halbdunkel einen dämmrigen Schleier gebildet, der die Konturen weich und unsicher machte und alle Geräusche dumpf ineinander verschwimmen ließ. Hier draußen aber schien die Luft nun
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