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VT02 - Der gierige Schlund

VT02 - Der gierige Schlund

Titel: VT02 - Der gierige Schlund
Autoren: Michael M. Thurner
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»Sie lebt«, sagte Kinga. Unwirsch schüttelte er die Arme des Älteren ab. »Wir haben sie und ihre Entführer während des Rückflugs vom Witveer aus gesehen.« Er schüttelte den Kopf. »Torkelnde Gestalten sahen wir, die auf die Große Grube zuhielten. Sie hatten jemanden bei sich.«
    »Die Augen trügen oft, wenn man sich etwas herbeisehnt…«
    »Frag Nabuu«, unterbrach ihn Kinga ärgerlich. »Ich mache mich noch heute auf, um Lourdes zu folgen. Mit oder ohne deine Erlaubnis, mit oder ohne deine Unterstützung. Ich werde die Prinzessin auf keinen Fall im Stich lassen.«
    Brüsk drehte er sich um und wanderte in das Land hinein, über das soeben die ersten Sonnenstrahlen tasteten. Er hatte keinen Blick übrig für all die Zerstörungen, die der Feuerfluss des Kilmaaro mit sich gebracht hatte. Er roch nicht das üble Odeur, das aus vielen Bodenspalten nach oben drang. Er überhörte das Gegreine der geschockten Kilmalier, die den Verlust ihrer Angehörigen beklagten. In seinen Gedanken war nur noch Platz für die Prinzessin.
    ***
    Wie war es möglich, dass er sich ausgerechnet um dieses plumpe und hässliche Geschöpf sorgte? Die Wirkung des Aphrodisiakums, das sie dem Wein beigemengt hatte, musste längst nachgelassen haben. Die Gefühle, die er in sich spürte, mussten echt, mussten wahrhaft sein.
    Kinga sprang achtlos über einen der schmalen, vielfach geteilten Bodenrisse. Seltsame Geräusche drangen daraus hervor; es kümmerte ihn nicht.
    Lourdes hatte etwas Besonderes an sich. Es fiel ihm nichts ein, mit dem er seine Empfindungen in Gedanken oder Worte fassen sollte. Da war dieses Drängen und Drücken, irgendwo in Magen- und Brustgegend, das weite Räume einnahm und ein Gefühl der Beklemmung verursachte. Als wollte er etwas aus sich herausdrücken – oder herausschreien – und schaffte es nicht.
    Kinga blieb plötzlich stehen, wie vom Schlag getroffen.
    Du hast dich verliebt, du Narr!, schoss es ihm durch den Kopf.
    Ausgerechnet in dieses Mauerblümchen, in dieses verzogene Gör, dessen gute Eigenschaften man an einer Hand abzählen konnte.
    Liebe!
    Was für ein großes, seltsames, dummes Wort!
    Bislang hatte er sich über eine geregelte Zukunft, in der Rocksäume, häusliches Gezeter und das Quengeln kleiner Kinder eine Rolle spielten, keine Gedanken gemacht. Das Leben bestand seit seiner frühesten Jugend aus der Arbeit mit den Maelwoorms, aus langen Stunden in dunklen Spelunken und aus noch längeren Nächten, die er unter den Decken junger und weniger junger Daams verbracht hatte, die ebenso wie er das Vergnügen suchten.
    Und jetzt dies!
    Du darfst sie nicht lieben!, sagte sich Kinga, während er einen faustgroßen Gesteinsbrocken beiseite kickte. Sie ist es nicht wert. Vergiss sie; hilf mit, die Stadt neu aufzubauen, und lebe dein Leben so, wie du es immer wolltest.
    Er beschloss, die Prinzessin zu hassen. Immer und immer wieder rief er sich all ihre schlechten Eigenschaften in Erinnerung.
    Überheblichkeit bis hin zum Größenwahn. Grausamkeit. Verdorbenheit. Widerlicher Standesdünkel. Hochnäsigkeit. Ein abstoßendes Äußeres, das mehr als deutlich darauf hinwies, wie sehr und wie viel sie sich in ihrem Leben der Liederlichkeit hingegeben hatte.
    Und dennoch…
    In den wenigen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, hatte er ein zerbrechliches, schüchternes und… und… ja, liebenswertes Wesen entdeckt, das tief unter einer verkrusteten Schale darauf wartete, befreit und ans Tageslicht gebracht zu werden.
    Er sah sich um. Gerüchte über die Gruh – so hatte man die Angreifer wegen ihrer Lautäußerungen genannt – hatten längst die Runde gemacht. Auf einer etwas erhöhten Steinplatte ruhten die Frauen und Kinder Kilmalies. Sie zogen löchrige Decken um ihre Leiber und kuschelten sich eng aneinander. Die Männer hingegen zeigten Wehrhaftigkeit, indem sie misstrauisch in alle Richtungen spähten, die Hände an den Waffen.
    Nur ein alter Mann hatte die unheimlichen Wesen tatsächlich gesehen, die die Prinzessin entführt hatten. Wie Schimären, so hatte der Alte erzählt, waren sie im dichten Nebel aufgetaucht, hatten die Soldaten der Prinzessin angegriffen und sich ungeachtet ihrer Wunden über die Männer hergemacht, bevor die nächste Nebelschicht sie seinen Blicken entzog.
    Als der Alte seine Beobachtung den wehrhaften Kilmaliern mitgeteilt hatte, war ein mehrköpfiger Suchtrupp ausgesandt worden. Von den Gruh hatte es keine Spur mehr gegeben. Als wären sie vom Erdboden
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