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VT02 - Der gierige Schlund

VT02 - Der gierige Schlund

Titel: VT02 - Der gierige Schlund
Autoren: Michael M. Thurner
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aufbrechen.«
    Betretene Stille kehrte ein. Die meisten Städter reagierten schockiert, von den Ereignissen überrollt. Das Leben in Kilmalie war nie leicht gewesen und hatte sie zu zähen und duldsamen Menschen geformt. Doch dem, was während der letzten vierundzwanzig Stunden geschehen war, waren selbst sie kaum gewachsen.
    In alle Richtungen marschierten Frauen und Kinder davon, während sich am Eingang zur Dorfkneipe Krieger und Farmer sammelten, um ihre Ängste hinter markigen Sprüchen zu verbergen.
    Irgendwo weinte ein Kind. Kinga fröstelte plötzlich trotz der mittäglichen Gluthitze.
    ***
    Ihm war nur eine Stunde unruhigen Schlafes vergönnt, bevor der unermüdliche Omoko Männer verpflichtet und die notwendige Ausrüstung zusammengestellt hatte. Als eine griesgrämige Alte ihn und Nabuu wachrüttelte, fühlte er sich keinen Deut besser. Erst ein Eimer kalten Wassers half ihm, zu sich zu finden.
    Kinga rieb sich eilig mit den Fingern über die Zähne, teilte hartes, saures Brot mit seinem Freund und folgte ihm schließlich vors Palisadentor. Der Witveer schnatterte aufgeregt. Sein von Asche bedecktes Fell wirkte zerrupft. Da und dort waren Brandblasen zu sehen, die orangefarbenen Schnabelhälften klapperten laut und aggressiv aufeinander.
    Die beiden Freunde umarmten sich, ohne ein Wort zu sagen. Beide wussten sie, dass dies möglicherweise ihre letzten gemeinsamen Momente waren. Nabuu musste als Vertreter Kilmalies die Verantwortung für das Verschwinden der Prinzessin vor ihrer Schwester eingestehen. Ihn erwartete schwere Folter, wenn er die Tochter de Roziers nicht von seinen guten Absichten überzeugen konnte.
    Er hingegen würde hinabsteigen in die Große Grube, in unbekannte Gefilde. Dorthin, wo den Geschichten nach schon immer unheimliche Dinge geschehen waren. Dorthin, wo sich selbst die Tapfersten niemals trauten.
    Kinga winkte dem Freund zu, als dieser über das klapprige Landegestell hinauf zum Lenker des Witveer stieg. Vereinzelt wurden Hoch-Rufe laut; doch die meisten Kilmalier nahmen den Abschied des hochbegabten Woormreiters apathisch entgegen.
    Der riesige Vogel begann mit den Flügeln zu schlagen. Er protestierte dabei laut gegen die unsanfte Behandlung durch seinen Reiter, erhob sich aber schließlich doch auf seine Plattfüße, nahm ungelenk Anlauf und stieß sich in die Höhe. Das Schauspiel, das Kinga vor wenigen Tagen noch imposant und erhaben vorgekommen war, hinterließ nun einen bitteren Nachgeschmack. Die Gemeinschaft der Woormreiter war nicht mehr. Ihrer beider Schicksal wies ins Ungewisse.
    Kinga vernahm ein Klopfen und Klatschen. Es wirkte deplatziert – und übte dennoch einen enormen Reiz auf ihn aus. Während die übrigen Städter den Weg zurück hinter die bewachten Palisaden trippelten, folgte er den sattsam bekannten Tönen.
    Die Außenstallungen der Maelwoorms lagen abseits Kilmalies. Ausläufer des flüssigen Feuers hatten sie gestreift. Teile der Abgrenzungen waren verbrannt und angekokelt; die Sandfläche, die die Woorms Tag für Tag im Training durchpflügt hatten, wirkte überbacken und glasiert. Der Sand war in der großen Hitze des Feuers geschmolzen.
    »Antworten die Woorms?«, fragte Kinga, als er Zhulu erblickte.
    Der Quarting legte sein Bodenpaddel beiseite und zuckte mit den Schultern. »Sie sind in der Nähe, ich kann ihre Anwesenheit spüren. Aber sie sind nicht bereit, meinem Ruf zu antworten. Noch nicht.«
    Seltsam. Seit dem Beginn der… Katastrophe hatte Kinga keinen einzigen Gedanken an Xhusa, seinen Drittworm, verschwendet. Die Sorge um das Schicksal Lourdes’ nahm ihn zur Gänze in Anspruch.
    »Sie werden wiederkommen«, sagte Kinga. »Mag sein, dass die Erst- und Zweitwoorms unsere Nähe scheuen. Aber Thotto, Xhusa und Sumbo werden die Herde zusammentreiben.«
    »Manchmal denke ich, dass es keinen Sinn mehr hat«, sagte Zhulu mit müder Stimme. Er drehte sich ihm zu. Schwarze Ringe hingen unter den einstmals so strahlenden Augen. »Gonho ist nicht mehr; ich müsste das Basis-Training irgendwelchen unerfahrenen Burschen übertragen. Und keiner vermag zu sagen, ob die Drittwoorms jemals wieder einen Reiter bekommen…«
    »Du redest, als wären Nabuu und ich schon tot!«, sagte Kinga ärgerlich.
    »Eure Chancen stehen schlecht«, meinte Zhulu mit jener Offenheit, die ihn so sehr auszeichnete. »Beide übernehmt ihr Aufträge, deren Ausgang mehr als ungewiss ist.«
    »Es ist traurig, dass uns selbst unser Lehrmeister nicht zutraut, die Gefahren zu
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