Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
Vom Netzwerk:
und
hüllte ihn darin ein, bedeckte sein kalkweißes Gesicht, das sich gegen die
Dunkelheit im Inneren des Wagens abhob, für den Fall, daß jemand zu nah ans
Fenster trat. Er war nicht in der Lage, den Toten wieder aus dem Wagen zu
zerren und ihn im Park zurückzulassen. Die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden
Autos hätten ihn dabei erfassen können. Und es schien ihm auch passender, ihn
in seinem eigenen Taxi ruhen zu lassen.
    Jetzt war es zehn vor acht. Er sollte
sich auf den Weg zum Bahnhof machen. Vielleicht mußte er ein paarmal an Ampeln
warten, und der Zug hielt am Nordbahnhof nur ein paar Minuten.
    Er mußte zurück in den Verkehrsstrom,
um aus dem Park zu kommen. Er hielt sich dicht am Seitenstreifen und zockelte
dahin. Mehrmals kam er von der Fahrbahn ab. Nicht, weil er nicht fahren konnte,
sondern weil er seine Sinne nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte. Er mußte
sich selbst immer wieder in die Realität und das Taxi auf die Fahrbahn
zurückholen. »Zug, zwanzig nach acht«, ermahnte er sich selbst ein ums andere
Mal, wie eine Schallplatte, die hängengeblieben ist. Aber wie ein Verschwender
verpraßte er Jahre seines Lebens in Minuten, und sein Vorrat ging zur Neige.
    Ein Streifenwagen fuhr mit heulendem
Martinshorn an ihm vorbei, kürzte den Weg von einem Ende der Stadt zum anderen
durch den Park ab. Er fragte sich, ob sie wohl hinter ihm her waren. Aber er
machte sich keine allzu großen Sorgen. Das war alles nicht mehr so wichtig. Nur
zwanzig nach acht — Zug...
    Er sank langsam über dem Steuer
zusammen, und jedesmal, wenn er es mit der Brust berührte, geriet der Wagen wie
verrückt ins Schlingern, so als ob auch er den stechenden Schmerz verspürte.
Zwei, dreimal kratzte er mit den Kotflügeln irgendwo an, und er hörte schwache,
fluchende Stimmen aus einer anderen Welt, einer Welt, die er hinter sich
zurückließ. Er fragte sich, ob sie ihn auch dann so beschimpfen würden, wenn
sie wüßten, daß er im Sterben lag.
    Da war noch etwas: Er konnte keinen
gleichmäßigen Druck auf das Gaspedal ausüben. Immer wieder rutschte sein Fuß
herunter, und der Wagen rollte aus. Das passierte auch, als er gerade den Park
verließ und über den großen runden Platz davor fuhr. Hier gab es eine
Ampelanlage, und er kam bei grün mitten auf dem Platz zum Stehen. Ein Polizist,
der den Verkehr von einer Bühne aus überwachte, pustete so stark in seine
Trillerpfeife, daß sie ihm aus dem Mund fiel. Fast hätte er sich selbst von der
Bühne katapultiert, so heftig winkte er ihm zu, weiterzufahren.
    Paine saß ganz still und hilflos da.
    Der Polizist tobte wie ein Besessener,
als er zu ihm herüberkam. Paine hatte keine Angst wegen dem, was er im Fond des
Wagens hatte, darüber war er längst hinaus. Aber wenn ihn dieser Polizist daran
hinderte, den Zug um zwanzig nach acht zu erreichen...
    Schließlich beugte er sich hinab,
packte sein Sprunggelenk, hob den Fuß ein paar Zentimeter hoch, ließ ihn aufs
Gaspedal fallen, und der Wagen fuhr wieder los. Es war lächerlich. Aber der Tod
hat bisweilen eine ganze Reihe von lächerlichen Aspekten.
    Der Polizist ließ ihn weiterfahren,
denn ihn festzuhalten hätte ein noch größeres Verkehrschaos hervorgerufen, als
er es ohnehin schon verursacht hatte.
    Er war bereits so gut wie da. Nur noch
quer durchs Zentrum und dann ein Stück nach Norden. Gut, daß er sich an den Weg
erinnerte, denn Straßenschilder konnte er jetzt nicht mehr lesen. Manchmal
lehnten sich die Häuser zu ihm herab, als würden sie gleich auf ihn
herunterfallen. Manchmal kam es ihm so vor, als fahre er einen steilen Hügel
hinauf, obwohl er wußte, daß da keiner war. Aber er wußte, das lag nur daran,
daß er auf dem Fahrersitz hin und her schaukelte.
    Ein paar Häuserblocks weiter geschah
das gleiche noch einmal, direkt vor einem großen, protzigen Apartmenthaus,
genau in dem Moment, als der Portier herausstürzte und ihm Zeichen gab,
anzuhalten. Ehe Paine ihn daran hindern konnte, hatte er bereits die Fondtür
weit aufgerissen, obwohl das Taxi noch nicht zum Stehen gekommen war. Zwei
Frauen in Abendkleidern kamen hinter ihm aus dem Hauseingang getrippelt, eine
hinter der anderen.
    »Nein — schon besetzt«, wollte Paine
sagen. Aber er war zu schwach, um laut genug zu sprechen, oder vielleicht
ignorierten sie es einfach. Und er konnte auch nicht schnell fest aufs Gaspedal
treten.
    Die erste kreischte: »Beeil dich,
Mutter. Donald wird es mir nie verzeihen. Ich hab ihm versprochen, um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher