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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
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halb
acht...«
    Sie setzte einen Fuß auf das Trittbrett
des Taxis. Dann blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie mußte gesehen haben, was
im Wagen lag; hier gab es mehr Licht als im Park.
    Paine raste mit offener Tür davon, und
sie stand wie versteinert da, mitten auf der Straße, in ihrem langen weißen
Satinkleid, und starrte ihm mit offenem Mund nach. Sie war so benommen, daß sie
nicht einmal schreien konnte.
    Und schließlich kam er zum Bahnhof. Er
hatte sogar noch einen Moment Zeit, sich auszuruhen. Die Umwelt erschien etwas
deutlicher vor seinen Augen. Wie im Theater, wenn die Lichter nach der
Abendvorstellung noch einmal angehen, bevor das Haus dann endgültig dunkel
wird.
    Der Nordbahnhof lag in einer
Unterführung, unter den Gleisen, die über die Straßen der Stadt hinwegführten.
Direkt davor konnte er den Wagen nicht abstellen, da gab es keine Parkplätze.
Und wo das Parkverbot zu Ende war, standen Taxis in zwei langen Schlangen. Er
bog in eine kleine Sackgasse ein, die den Bahnhof von anderen Gebäuden trennte.
Hier gab es auch einen Nebeneingang.
    Noch vier Minuten. In vier Minuten
würde der Zug ankommen, er hatte den Hauptbahnhof bereits verlassen, war schon
auf dem Weg hierher, befand sich gerade irgendwo zwischen diesen beiden
Punkten. Er dachte: »Ich mach mich jetzt besser auf den Weg. Es wird nicht ganz
einfach werden .« Er fragte sich, ob er überhaupt
imstande war, aufzustehen.
    Er wollte einfach nur da bleiben, wo er
war, und die Ewigkeit über sich ergehen lassen.
    Noch zwei Minuten. Der Zug lief schon
über ihm ein, er hörte ihn auf der Stahlbrücke herandonnern und dann mit einem
langanhaltenden Schnauben zum Stehen kommen.
    Der Weg vom Taxi zum Nebeneingang
erschien ihm entsetzlich weit. Er raffte seine letzten Reste an Energie
zusammen, kletterte aus dem Taxi und schwankte taumelnd los, ging bei jedem
Schritt tiefer in die Knie. An der Eingangstür zog er sich wieder hoch. Er trat
in den Wartesaal und sah, daß der so groß war, daß er ihn niemals würde
durchqueren können. Noch eine Minute. So nah und doch so fern.
    Der Schaffner rief den Zug schon aus:
»Montreal Express — zwanzig Uhr zwanzig — Pittsfield, Burlington, Rouse’s
Point, Montreal! Alles einsteigen !«
    Glücklicherweise standen mehrere
Bankreihen im Wartesaal, mit deren Hilfe er diese ansonsten unüberwindbare
Kluft überbrücken konnte. Er ließ sich auf den äußersten Sitz in der ersten
Reihe fallen, riß sich eisern zusammen und krabbelte weiter bis zum fünften,
blieb da wieder einen Moment lang sitzen und wiederholte die Prozedur, bis er
an der Bahnsteigsperre angekommen war. Aber die Zeit blieb nicht stehen, der
Zug blieb auch nicht mehr lange stehen, das Leben lief ihm davon.
    Noch fünfundvierzig Sekunden. Die
letzten verspäteten Passagiere waren schon oben am Bahnsteig. Es gab zwei
Möglichkeiten, nach oben zu gelangen: eine lange Treppe und eine Rolltreppe.
    Er wankte auf die Rolltreppe zu und
schaffte es. Ohne die Taxifahrermütze wäre er nicht am Fahrkartenkontrolleur
vorbeigekommen — daran hatten er und Pauline gar nicht gedacht.
    »Muß eine Reisegesellschaft abholen«,
murmelte er unverständlich, und dann brachte ihn die Rolltreppe langsam nach
oben.
    Am Bahnsteig hörte er schon das
Pfeifen. Die Achsen und Räder quietschten, als wollten sie sich gleich in
Bewegung setzen.
    Er brauchte seine ganze Kraft, um auf
der Rolltreppe das Gleichgewicht zu bewahren. Hinter ihm war niemand, und wenn
er jetzt hinfiel, würde er diese ganze Rutschbahn wieder hinabkullern. Er grub
seine Nägel in die beiden Handläufe und klammerte sich daran, so fest er nur
konnte.
    Irgendwo unten auf der Straße erhob
sich ein Tumult. Er hörte die Pfeife eines Polizisten, ein schriller,
markerschütternder Ton.
    Jemand rief: »In welche Richtung ist er
gegangen ?«
    Jemand anders antwortete: »In den
Bahnhof .«
    Sie hatten endlich entdeckt, was im
Taxi lag.
    Einen Augenblick, nachdem er über die
Decke des Wartesaals hinaus war, so, daß sie ihm die Sicht versperrte, hörte er
hektisches Getrappel von allen Seiten in den Raum da unten fluten. Aber er
hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Er war endlich oben auf dem
Bahnsteig. Mattglänzende Eisenbahnwagen glitten rasch an ihm vorbei. Eine
offene Tür, an der sich gerade ein Schaffner hochzog, kam ihm entgegen. Paine
ging mit weit vorgebeugtem Oberkörper darauf zu, einen Arm wie zum Hitlergruß
nach vorn gestreckt.
    Er stieß einen Schrei aus. Der
Schaffner
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