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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir
Autoren: Christa Bernuth
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Videokassette aus den Achtziger- oder frühen Neunzigerjahren. Und darunter ist eine CD oder DVD .« Sie legt den Umschlag zurück.
    »Lass uns oben auf die Spurensicherung warten«, sagt Vanderfart. Sina nickt und sie steigen langsam in den vierten Stock. Die Tür zu Kaldens Wohnung steht auf. Sie setzen sich auf das Sofa aus rotem Samt im Retrostil und hören Gronberg auf der Galerie fluchen, weil er über einen der beiden Sneakers gestolpert ist, die auf dem geölten Dielenboden in Kaldens Schlafbereich herumliegen, als wäre der Besitzer nur mal kurz einkaufen gegangen und würde jede Minute nach Hause zurückkommen.
    Ich habe einen Sohn gewonnen und ihn sofort wieder verloren. Ich mag die Idee, einen Sohn zu haben, aber der, den ich habe, ist es nicht wert, geliebt zu werden. Mein Sohn ist ein Monster, schlimmer, als ich es je war, und trotzdem ist er Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut.
    Leander – ich kann ihn nicht René nennen – hat mir vermutlich ein Medikament gegeben, das meine Empfänglichkeit für die Hypnose erhöhte. So erklärte es mir die Ärztin, die mir mein Gedächtnis wieder zurückgab und damit Leanders Bann über mich löste.
    Ich sitze in meiner Zelle vor dem Fenster und sehe einen orange leuchtenden Himmel, der mich glücklich und tieftraurig macht. In einigen Tagen werde ich voraussichtlich entlassen werden – dann, wenn meine Unschuld feststeht. Ich habekeinen Zweifel mehr daran, dass das bald so sein wird. Mein Kopf ist wieder klar, ich bin nicht mehr ferngesteuert.
    Ich bin wieder ich selbst.
    Das bedeutet nicht, dass meine Probleme gelöst sind. Das Gegenteil ist der Fall. Ich werde wegen Körperverletzung angeklagt werden. Und auch wenn ich ein mildes Urteil zu erwarten habe, weil alle Indizien darauf hinweisen, dass ich in der fraglichen Zeit jeweils unter Alkohol und Drogen stand, ist mein mühsam aufgebautes Leben in Normalität zerstört. Jeder weiß jetzt von meiner fatalen Veranlagung. Ich werde unter Aufsicht stehen müssen. Ich werde keinen Job mehr bekommen. Ich werde meine Familie nicht mehr wiedersehen. Ich werde das tun müssen, was ich immer noch am besten kann: allein sein und versuchen, niemandem zur Last zu fallen.
    Nachts träume ich jetzt manchmal von einem kleinen Jungen, der ein Mädchen schreien hört und das Grunzen von erwachsenen Männern, die sich an dem Mädchen vergreifen. Ich hatte diese Träume schon sehr lange nicht mehr oder ich habe mich nicht an sie erinnert. Aber nun weiß ich wieder, wie es war, und deshalb sind sie zurückgekommen. Weil ich mich im Wachzustand nicht erinnern will.
    Nicht an das Messer, das mein maskierter Vater in der Hand hielt und mit dem er das Mädchen unter dem Kinn kitzelte. So lange kitzelte, bis ein Tropfen Blut hervorquoll, der glitzerte wie ein Edelstein. Das habe ich Luzia Savatzki nicht erzählt: dass ich nicht nur ein Erlebnis dieser Art hatte, sondern mehrere, verteilt über Jahre. Und dass ich ein paar der Mädchen sehr wohl gesehen habe.
    Das Bild ist verwackelt und unscharf, es gibt keinen Ton. Eine Straße. Jemand läuft über eine leere Straße und hält dabei die Kamera. Die Sonne wirft Schlagschatten.
    »Eine Videokamera«, sagt Hemming. »Die Qualität ist so mies, die muss aus den Achtzigerjahren sein. Jemand hat sie nachträglich digitalisiert.«
    »Wo ist die Datumsanzeige?«, fragt Sina, die zusammen mit Gronberg hinter Hemming sitzt und über seine Schulter auf den 30-Zoll-Bildschirm schaut.
    »Die geht beim Digitalisieren oft verloren«, sagt Hemming. »Aber vielleicht ist sie ja auf der Kassette.«
    »Wie macht man das?«, fragt Sina.
    »Das Digitalisieren? Kein Problem.« Hemming bückt sich und zieht aus einer seiner Schreibtischschubladen ein kurzes Kabel, das in drei weitere dünnere Kabel mit farbigen Steckanschlüssen mündet. »Ein Grabber«, erläutert Hemming. »Damit schließt du Videokamera und Computer zusammen und überspielst die Kassette auf die Festplatte. Dann lädst du das Ganze auf eine Leer- DVD . Ganz einfach.«
    Ein Mehrfamilienhaus aus den Sechzigerjahren. Grau. Die Kamera wandert hoch in den ersten Stock und senkt sich dann auf ein Schild über dem Eingang.
    »Halt mal an«, sagt Sina zu Hemming, und er drückt auf die Stopptaste. Das Bild friert ein.
    Finsterwalderstraße 189.
    Schwer zu lesen, aber unverkennbar.
    Sina atmet leise aus. Sie ist erstaunt, dass sie das Haus nicht sofort erkannt hat.
    Am liebsten würde sie weglaufen.
    Denn es ist alles wieder da. Der
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