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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir
Autoren: Christa Bernuth
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nichts auf eine Abreise oder Flucht hinweist. Sie haben mehrere leere Rollkoffer gefunden, der begehbare Kleiderschrank ist voller Markenjeans, T-Shirts, Hoodies, Sweatpants, schwarzen Seidenhemden und mindestens sechzig Paar Sneakers. Im Bad befindet sich teure Kosmetik und eine gebrauchte elektrische Zahnbürste. Das Bett ist ungemacht, in der Küche steht benutztes Geschirr, im Kühlschrank befinden sich frische Lebensmittel.
    Und trotzdem. Sie spürt Kaldens Abwesenheit, die Unbelebtheit einer verlassenen Wohnung.
    Sina, Gronberg, Vanderfart und zwei uniformierte Polizisten lassen sich vom Hausmeister in den Keller bringen. »Wie viele Wohnungen gibt es hier?«, fragt Sina, während sie die Treppe heruntersteigen.
    »Zweiundzwanzig Einheiten«, sagt der Hausmeister. »Die meisten sind vermietet, hauptsächlich an Griechen und Türken. Nur Herr Kalden lebt hier als Eigentümer. Aber seine Wohnung ist auch ein Sonderfall. Er hat sie als Bruchbude gekauft, und jetzt schauen Sie sich an, was er daraus gemacht hat.«
    »Kennen Sie ihn gut?«
    »Was man so kennen nennt. Er ist ein Nachtmensch. Liegt natürlich auch an seinem Club.« Der Hausmeister schließt die Kellertür auf und drückt auf einen Lichtschalter. »Vorsicht, die Treppe ist eng. Gehen Sie einfach hinter mir her.«
    Es ist sehr warm hier unten, Sina hört ein leises Dröhnen, spürt Vibrationen, die wahrscheinlich von der Heizungsanlage kommen. Sie atmet tief ein und aus; Keller machen ihr Angst, die Vorstellung, gefangen zu sein in fensterlosen Räumen. Es erinnert sie an das Schlafzimmer ihres Onkels, das scheppernde Geräusch heruntergelassener Rollladen, die so dicht schlossen, dass von außen nicht der kleinste Lichtschein hereindrang. Wenn man mitten in der Nacht aufwachte, sah man nichts. Manchmal spürte man das Gewicht des Onkels auf Schenkel, Armen und Bauch, aber immer spürte man das Gewicht der Angst auf der Brust.
    Sie stehen vor der Tür. Sie sieht tatsächlich tonnenschwer aus. Einer der Polizisten drängt sich vor, Sina nickt ihm zu, und er macht sich an dem Schloss zu schaffen. Er führt ein kugelschreiberförmiges Ding mit einem Draht an der Spitze in das Innere des Zylinderschlosses, versetzt den Verriegelungsstiften einen leichten Elektroschock, der sie erzittern lässt, und öffnet mit einem schraubenzieherähnlichen Gerät das Schloss.
    Die Tür springt auf und Sina fängt sie blitzschnell auf und hält sie fest.
    »Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn wir noch etwas brauchen«, sagt sie an den Hausmeister gewandt, der keine Anstalten macht zu gehen.
    Schließlich verabschiedet er sich mit mürrischem Gesicht, und Sina zieht die Tür auf. Fast hätte Sina sie wieder losgelassen, so intensiv ist der Gestank nach Blut und anderen Körperausscheidungen, nur notdürftig überdeckt von scharf riechenden Desinfektionsmitteln.
    »Wir sind da«, sagt sie zu niemand Bestimmtem, während sie nach dem Lichtschalter tastet und ihn am liebsten gar nicht finden würde. Natürlich findet sie ihn.
    Die Helligkeit überrascht sie wie ein Blitz vor nachtschwarzem Himmel. Der Raum ist frisch geweißelt, und wäre nicht der betäubende Geruch von Qual und Tod, er würde sauber wirken.
    »Eine Tageslichtlampe«, murmelt Gronberg neben ihr, und dann sieht Sina an der hinteren Wand, direkt gegenüber von der Tür, den Stuhl mit der überhöhten Lehne, ein Zwillingsexemplar zu dem Stuhl in der Wohnung am Hafen, sorgfältig geschreinert, extrem stabil, ein effizientes Folterinstrument. Ihr wird kalt.
    Sie zieht ihr Mobiltelefon aus der Tasche, aber hier unten hat sie kein Netz.
    »Rufst du die Spurensicherung an?«, fragt sie Gronberg, und er nickt und macht sich auf den Weg nach oben.
    »Ihr könnt auch gehen«, sagt Sina zu den Polizisten und muss lächeln, als sie die erleichterten Gesichter sieht.
    »Da ist eine Kommode«, sagt Vanderfart, als sie allein sind.
    »Ja, ich sehe sie.«
    »Ich habe zwei Anzüge da. Wir können rein.«
    Sie ziehen die dünnen weißen Schutzanzüge über ihre Jeans und setzen die Kapuzen auf. Die Kommode steht rechts nebender Tür. Vanderfart zieht sie mit seiner behandschuhten Hand auf. Sie ist voller Mappen, die sie erst öffnen können, wenn die Spurensicherung da war.
    Obendrauf liegt ein brauner DIN -A4-Umschlag, auf dem mit dunkelblauer Tinte Sinas Name steht. Er ist leicht ausgebeult. Sina nimmt ihn an einer Ecke hoch, betastet ihn vorsichtig.
    »Es fühlt sich an wie eine Videokassette«, sagt sie zu Vanderfart. »Eine
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