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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir
Autoren: Christa Bernuth
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Eingangsbereich mit den dunkelbeigen Fliesen, die immer streifig aussahen, als ob jemand mit einem riesigen Radiergummi darübergefahren wäre. Die braun gestrichenen Türen, von denen teilweise schon die Farbe abblätterte. Das geschwungene Treppengeländer mit dem blauen Handlauf, der nach Schweiß und Plastik roch. Sina hatte sich manchmal daran festgeklammert, wenn ihre Mutter sie zu ihrem Onkel brachte. Ihre Mutter hatte dann jeden einzelnen Finger gelöst, nicht einmal besonders grob, eher sachlich und effizient, als hätte sie mit dieser Komplikation gerechnet.
    »Soll ich weitermachen?«, fragt Hemming.
    »Ja«, sagt Gronberg und räuspert sich. Sina wirft ihm rasch einen Blick zu, aber Gronberg lässt sich nichts weiter anmerken. Wahrscheinlich fällt nur ihr auf, dass sein Gesicht blass geworden ist.
    Die Kamera bewegt sich nun wieder weg von dem Haus, auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dann dreht sich der Filmende wieder um und zoomt das Bild heran. Jetzt wird der Eingangsbereich fokussiert. Längere Zeit passiert nichts. Dann öffnet sich die Tür und ein halbwüchsiges Mädchen in einem blauen gerüschten Kleid, das besser zu einer Vierjährigen als zu einer Jugendlichen passt, kommt in Begleitung von zwei Erwachsenen heraus, einer Frau und einem Mann. Die Kamera zoomt auf das Gesicht des Mädchens, dessen Augen verbunden sind, dann auf die Gesichter der beiden Erwachsenen.
    Die Frau hat braune Haare, die streng zurückgekämmt sind. Als sie den Kopf wendet, sieht man ihre merkwürdige Frisur, ein hoch angesetzter, eingeschlagener Pferdeschwanz, dessen Haarenden mit Klammern direkt unter dem Gummi befestigt wurden.
    Der Mann ist Martin Rastegar, Sinas Onkel.
    »Halt an«, sagt Gronberg leise.
    »Erkennst du das Mädchen?«, fragt Sina. Ihre Stimme ist ruhig. Sie darf sich jetzt nicht mit Martin Rastegar beschäftigen. Es ist noch Zeit genug. Später. Später wird sie über das weinen, was sie jetzt weiß und nie erfahren wollte.
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    »Aber du glaubst es?«
    Gronberg fährt sich mit der Hand über das Gesicht, als wollte er etwas wegwischen.
    »Wir müssen es ihr zeigen«, sagt er.
    »Ja«, sagt Sina und denkt an Meret Giordano und daran, ob man ihr das zumuten kann.
    »Sie gehen zu einem Auto«, sagt Hemming. Links vom Eingang steht ein dunkelblauer Mercedes mit verchromten Leisten und getönten Seitenscheiben. Das Dreiergrüppchen bewegt sich darauf zu. Die Straße scheint immer noch menschenleer zu sein.
    »Es ist Sonntag«, sagt Sina. »Wahrscheinlich Mittag. Deshalb ist es so leer.«
    »Ja«, stimmt Gronberg zu.
    Schnitt.
    Das Bild wechselt. Jetzt sieht man ein großes weißes Gebäude.
    »Liliengrund«, sagt Sina. Sie spürt ein ganz leichtes Zittern, das sich von den Haarwurzeln bis zu den Fußsohlen zieht.
    »Bist du sicher?«, fragt Gronberg.
    »Absolut. Wenn du da einmal warst, vergisst du das nicht mehr.«
    Eine prachtvolle Gründerzeit-Villa mit sorgfältig geharkter Zufahrt. Aber der Anblick täuscht. Liliengrund ist eine normale Irrenanstalt mit vergitterten Fenstern und der üblichen trostlosen Krankenhauseinrichtung. Sina weiß, dass in einem der hinteren, weitaus weniger repräsentativen Gebäude die forensische Abteilung liegt, ein Hochsicherheitstrakt für psychisch kranke Gewaltverbrecher.
    Ein Auto fährt ins Bild, es sieht aus wie der Mercedes vor dem Haus in der Finsterwalderstraße. Es beschreibt einen Bogen, ist kurz nicht mehr zu sehen und bleibt dann vor der Villa stehen. Die Kamera zoomt auf die drei Menschen, die das Auto verlassen. Sie gehen nicht durch den pompösen Haupteingang mit Freitreppe ins Haus, sondern laufen mit schnellen Schritten links neben dem Gebäude vorbei. Die Kamera folgt ihnen.
    Schnitt.
    Die Dreiergruppe bewegt sich durch ein parkähnliches Gelände auf eine zweite, erheblich kleinere Villa zu.
    »Die Dienstvilla vom Chefarzt«, sagt Sina.
    »Ist das eine Vermutung?«, fragt Gronberg.
    »Nein, das weiß ich. Er heißt Ernst Matthias. Prof. Dr. Ernst Matthias. Der Vater von unserem Polizeichef.«
    »Seit wann hatte er diese Position?«
    »Seit den frühen Achtzigerjahren. Er ist jetzt weit über siebzig.«
    »Er ist vor zwei Monaten gestorben«, mischt sich Hemming ein. »Ich habe die Todesanzeige gelesen und Matthias darauf angesprochen. Er hat bestätigt, dass das sein Vater war.«
    Sie sehen sich an.
    »Sie sind alle tot«, sagt Sina. »Mein Onkel, Salfelds Eltern, Ernst Matthias.«
    »Dein Onkel?«
    »Er war der Mann
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