Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir
Autoren: Christa Bernuth
Vom Netzwerk:
sind da. Sie wissen, dass Sie die Stadt nicht verlassen dürfen.«
    »Ja.«
    »Innerhalb kürzester Zeit werden die ersten Fernsehleute ihre Kameras aufbauen. Sind Sie dafür gerüstet? Ihr Anwalt schien sich direkt drauf zu freuen. Ich habe den Eindruck, er weiß nicht genau, was das bedeutet.«
    »Ich komme schon zurecht.« Ich zögere, dann sage ich etwas unbeholfen: »Danke. Für alles.«
    Ich lange nach dem Türgriff, um auszusteigen, aber sie hält mich zurück.
    »Wir werden Sie brauchen«, sagt sie.
    »Was meinen Sie?«
    »Sie können uns vielleicht helfen.«
    »Helfen? Wobei denn?«
    »Sie wissen, was in Menschen vorgeht, die anders veranlagt sind. Vielleicht geben Sie einen guten Fallanalytiker ab.«
    »Gibt’s dafür eine Ausbildung?«
    »Ja, allerdings nur für Kriminalbeamte.« Sie lächelt. »Natürlich hoffen wir zunächst einmal, dass Sie uns auf der Suche nach Leander Kern behilflich sein können. Das wäre ein guter erster Schritt.«
    »Er wird sich mit mir in Verbindung setzen.«
    »Das glauben Sie?«
    »Das weiß ich.«
    Sie sieht mich überrascht an. »Geben Sie mir dann Bescheid?«
    »Ja. Aber möglicherweise wird es nicht viel nützen.«
    »Das werden wir sehen.«
    Ich habe noch eine letzte Frage, aber ich fürchte mich vor der Antwort. Trotzdem muss ich es wissen. »Wie geht es jetzt weiter? Werden Sie mich überwachen?«
    »Natürlich tun wir das«, sagt sie in einem Tonfall, als wäre das so normal, dass man gar nicht weiter darüber reden müsste. »Und wir erwarten selbstverständlich Ihre Kooperation.«
    »Wie lange?«
    »Wie lange Sie überwacht werden? So lange wie nötig. Sie werden nie mehr ganz allein sein. Sie werden sich regelmäßig bei einem therapeutisch ausgebildeten Beamten melden müssen, er wird von Ihnen verlangen, dass Sie Rechenschaft ablegen. Auch über Ihre intimsten Wünsche und Träume. Sie werden nie mehr ganz allein und nie mehr ganz frei sein. Verstehen Sie das?«
    Ich verstehe sie sehr gut. Ich bin eine Zeitbombe. Niemand ist vor mir sicher, niemals.
    »Danke«, sage ich und steige aus. Bleibe noch ein paar Sekunden stehen mit meinem armseligen Köfferchen und sehe ihr hinterher. Dann klingle ich bei Gregor Makula, einem weiteren Menschen, dessen Leben ich zerstört habe, auch wenn man mir wenigstens das nicht allein anlasten kann.

Von: Kern, Leander
    An: Mulisch, Carl
    Betreff: Der Mann, der sein Gewissen verlor
    Lieber Carl,
    ich darf dich doch so nennen? Die Anrede Vater (oder Papa oder Papi oder gar Dad!) finde ich angesichts der Umstände nicht wirklich angebracht. Bleiben wir also bei Carl. Wobei Carl Mulisch ein dümmliches Pseudonym ist, aber du konntest ja nicht wissen, dass ich seinen Namen schon kannte. Ach ja, der gute alte Onkel Carl, der kleine Jungen gern auf den Schoß genommen hat, je kleiner, desto lieber übrigens, und der leider mit gerade einmal siebenundsechzig an Herzversagen gestorben ist. Ist das nicht traurig?
    Aber das wirst du kaum mitbekommen haben, in der fraglichen Zeit warst du gerade dabei, dein achtes Jahr abzusitzen, und hattest bestimmt andere Sorgen.
    Wie du inzwischen weißt, macht es keinen Sinn, diese Mail zurückzuverfolgen. Ich bin überall und nirgends. Ein Phantom, allerdings aus Fleisch und Blut, der Stoff deiner künftigen Albträume, unauffindbar, aber dennoch existent. An den Früchten sollt ihr sie erkennen, heißt es ja, und du weißt sicher, was das in meinem Fall heißen wird. Die Welt ist groß und weit, es gibt so viele Möglichkeiten, die eigenen Talente zu vervollkommnen; fast wird mir schwindlig beim Gedanken an die Perspektiven, die sich mir jetzt auftun.
    Manchmal denke ich an meinen Stief- und Großvater zurück. Deinen Vater. Ein wirklich sehr besonderer Mann. Um es vorsichtig auszudrücken. Du kanntest ihn ja gar nicht wirklich. Ich kann dir jedenfalls versichern, dass er uns beide in punkto Bösartigkeit weit hinter sich lässt. Oder hast du etwa geglaubt, dass er den Kontakt zu dir abgebrochen hat, weil er so schockiert über deine Tat war? Nun, dann muss ich dich enttäuschen. Er verachtete dich, weil du dich so ungeschickt angestellthattest. Er hasste dich, weil deine Tat beinahe das schmutzige Netzwerk aufgedeckt hätte, dessen Teil er war.
    Das hat er mir natürlich nicht gesagt. Das habe ich mir selbst zusammengereimt. Aber eines Abends – er war betrunken und unerträglich sentimental – hat er mir dann doch Folgendes erzählt: nämlich wie er seinem mindestens ebenso verdorbenen Bruder im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher