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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman
Autoren: Lisa Kleypas
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Erstes Kapitel
    Hampshire, England
    August 1852
    Jeder, der schon einmal einen Roman gelesen hatte, wusste, dass von einer Gouvernante Bescheidenheit und Zurückhaltung erwartet wurde. Sie hatte still, unterwürfig und gehorsam zu sein, um nicht zu sagen respektvoll gegenüber ihrem Hausherrn. Leo, Lord Ramsay, fragte sich immer wieder erbittert, warum sie sich nicht einfach eine solche gesucht hatten. Stattdessen hatte die Hathaway-Familie Catherine Marks angestellt, die nach Leos Meinung ein schlechtes Licht auf den gesamten Berufsstand warf.
    Es war nicht so, dass Leo an Marks’ Fähigkeiten etwas auszusetzen hatte. Sie hatte hervorragende Arbeit geleistet und seine zwei jüngsten Schwestern Poppy und Beatrix in den Feinheiten der gesellschaftlichen Etikette unterrichtet. Und sie hatten die Hilfe wirklich dringend nötig gehabt, denn keiner der Hathaways hatte jemals damit gerechnet, in den höheren Kreisen der britischen Gesellschaft zu verkehren. Sie waren in einer reinen Mittelklasse-Umgebung in einem Dorf westlich von London aufgewachsen. Ihr Vater Edward Hathaway war ein Kenner des Mittelalters gewesen und galt als ein Mann aus gutem Hause, aber wohl kaum als Aristokrat.
    Doch nach einer Reihe unvorhersehbarer Ereignisse hatte Leo den Titel des Lord Ramsay geerbt. Obwohl er Architektur studiert hatte, war er jetzt Viscount und für Ländereien und Pächter verantwortlich. Die Hathaways waren auf Gut Ramsay nach Hampshire gezogen, wo sie sich mit großer Anstrengung den Anforderungen ihres neuen Lebens gestellt hatten.
    Eine der größten Herausforderungen für die Hathaway-Schwestern hatte darin bestanden, die Fülle von gesellschaftlichen Regeln und Umgangsformen zu erlernen, die man von den privilegierten jungen Damen erwartete. Hätten sie nicht Catherine Marks´ geduldige Unterweisungen genossen, wären die Hathaways wohl durch London gepoltert wie Elefanten durch einen Porzellanladen. Marks hatte bei jeder von ihnen wahre Wunder bewirkt, vor allem bei Beatrix, zweifellos das exzentrischste Mitglied einer an sich schon exzentrischen Familie. Obwohl Beatrix nach wie vor am liebsten wie ein wildes Tier durch Wiesen und Wälder tollte, hatte Marks ihr doch erfolgreich vermitteln können, dass im Ballsaal ein anderes Benehmen angebracht war. Sie hatte sich sogar die Mühe gemacht, eine ganze Reihe von Anstandsgedichten für die Mädchen zu schreiben, darunter echte Glanzstücke wie:
    Gefragt sind Beherrschung und gute Manieren
    Wenn Damen mit fremden Herrn konversieren
    Denn Tändeleien, Zank und Klagen
    Könnten den guten Ruf zerschlagen.
    Leo hatte natürlich nicht widerstehen können, sich über Marks’ dichterische Fähigkeiten lustig zu machen, aber insgeheim musste er zugeben, dass ihre Methoden erfolgreich waren. Poppy und Beatrix waren glimpflich durch die letzte Londoner Saison gekommen. Und Poppy hatte einen Hotelier namens Harry Rutledge geheiratet.
    Von den Hathaway-Schwestern war jetzt nur noch Beatrix übrig. Marks hatte die Aufgabe der Anstandsdame und Begleiterin der lebhaften Neunzehnjährigen übernommen. Für die anderen Hathaways zählte Catherine Marks längst zur Familie.
    Leo für seinen Teil konnte diese Frau nicht ausstehen. Sie äußerte nach Lust und Laune ihre Ansichten und wagte es sogar, ihm Anweisungen zu geben. Und wenn Leo einmal versuchte freundlich zu ihr zu sein, was selten genug vorkam, schnauzte sie ihn an oder wandte sich verächtlich ab. Wenn er eine absolut vernünftige Meinung vorbringen wollte, ließ sie ihn erst gar nicht ausreden, sondern zählte bereits all die Gründe auf, weshalb er wieder einmal nicht recht hatte.
    Angesichts ihrer uneingeschränkten Antipathie konnte er nicht anders, als ihr in gleicher Weise zu begegnen. Ein ganzes Jahr lang hatte er sich eingeredet, dass ihm ihre Verachtung nichts ausmachte. Schließlich gab es in London haufenweise Frauen, die tausendmal schöner, reizender und verlockender waren als Catherine Marks.
    Wenn sie nur nicht so schrecklich faszinierend wäre!
    Vielleicht lag es an ihren eifrig gehüteten Geheimnissen. Marks hatte noch nie über ihre Kindheit oder Familie gesprochen, geschweige denn ein Wort darüber verloren, warum sie bei den Hathaways in Stellung gegangen war. Zuvor hatte sie kurze Zeit an einer Mädchenschule unterrichtet, aber auch darüber redete sie nie. Ehemalige Schüler von ihr hatten das Gerücht in Umlauf gebracht, dass sie ein schlechtes Verhältnis zur Schulleiterin gehabt habe, andere
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