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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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ihm. Nur ist diese Stimme nie auf den Tonbändern zu hören. Aber Henry unterhält sich mit ihr. Und er redet und redet, möchte die Stimme zufrieden stellen und sie daran hindern, dass er allein gelassen wird. Nichts ist für Henry schlimmer, als allein zu sein, allein im Dunkeln.«
    »Wenn ich dich richtig verstehe, dann hat deine Heldin, die auch Sarah heißt …«, Sarah betonte besonders den letzten Satzteil und sprach ihn gedehnt, »… Henry in den Weinkeller gesperrt. Einfach so. Mir nichts dir nichts.«
    »Nicht einfach so«, protestierte Carmen. »Meine Heldin ist clever und gerissen. Sie ist eine Frau. Vergiss das bitte nicht. Und sie hasst. Und sie möchte sich rächen. Meine Heldin hat natürlich etwas nachgeholfen und dem lieben Henry einiges ins Glas getan.«
    »Hui, das klingt jetzt aber ein bisschen trivial.« Sarah verdrehte die Augen.
    »Was heißt hier trivial«, entgegnete Carmen. »Wenn ich mir deinen Medikamentenschrank anschaue, da gibt es viele schöne Tabletten, die man einsetzen könnte. Von Valium angefangen über Noveril, Dominal bis hin zu Tranxilium. Gib Henry zwei Valium und zwei Noveril, dazu etwas Alkohol, schon ist er wie ein Sack Mehl und du kannst ihn überall hinschleppen. Und er kann kaum noch richtig denken. Denn er kommt sich vor wie im Tran. Erst recht unter verstärktem Alkoholeinfluss. Er fängst an zu reden, zusammenhanglos und manchmal auch wieder ganz klar, beantwortet all deine Fragen, macht gedankliche Sprünge von der Kindheit bis zur Jetztzeit. Alles ein bisschen wirr und verschwommen, aber, wenn man richtig nachfragt, verständlich und nachvollziehbar. Und Alkohol verstärkt bei dieser Art von Medikamenten die Wirkung enorm. Aber Erinnerungslücken tun sich später auf, Fiktion und Realität verschwimmen. Man selbst hat das Gefühl, als habe man geträumt.«
    »Wo du gerade davon sprichst: deine Heldin, eine Frau, wie ich, du nennst sie auch Sarah. Und Henry, ein großer, schwerer Mann. Wie hat sie ihn immer geschleppt? Vom Schlafzimmer bis in den Weinkeller?«
    Carmen umfasste Sarahs Schultern als prüfe sie, ob ihre Muskeln dazu in der Lage gewesen wären. »Wenn du ein schweres Stück Möbel allein verschieben müsstest, was würdest du tun?«
    »Mir jemanden rufen, der mir hilft.«
    »Nun, das konnte meine Heldin aus verständlichen Gründen nicht. Aber sie hat auch jemanden gerufen, der ihr geholfen hat. Und zwar steht in eurer Abstellkammer ein dickes Brett mit vier Laufrollen darunter.«
    »Genau«, erinnerte sich Sarah. »Das nehmen wir manchmal für schwere Sachen. Für Wein- und Bierkisten und so was.«
    »Nun, meine Heldin hat Henry auf dieses Gerät gesetzt und ihn gefahren. So einfach ist das für mich.«
    »Vom Bett bis in den Weinkeller.« Sarah wollte es genau wissen.
    »Vom Bett bis in den Weinkeller. Alles ebenerdig, keine Stufe. Und morgens wieder zurück. Oder wann immer sie mit ihm fertig war.«
    »Und deine Heldin hat demnach auch die Tonbänder aufgenommen.«
    Carmen nickte. »Dabei war sie verdammt geschickt. Sicherlich hat sie Henry immer lange warten lassen, bis er es nicht mehr aushalten konnte, er einfach reden musste. Ohne Medikamente, ohne die richtigen Medikamente hätte sie es allerdings wohl kaum geschafft. Valium, Tranxilium, Noveril, alles schön und gut. Ob das jedoch genügt hat? Leider habe ich kein Rudicor entdeckt. Kennst du Rudicor?«
    Sarah verneinte.
    »Man bezeichnet dieses aus Amerika stammende Medikament als Wahrheitsdroge. Zusammen mit Alkohol ist Rudicor fast jedem Rauschgift überlegen. Du gehst auf einen Psychotrip und plauderst alles aus, was dein Gegenüber wissen will. Und du kramst in deinem eigenen Seelenleben wie ein Goldgräber. Nichts bleibt verborgen. Aus einem Schweigsamen wird ein Wasserfall. Hunderte Tonbänder hätte Henry besprechen können. Und diese Bänder wurden ausgelegt wie eine Fährte. In seinem Auto, im Wohnzimmer, überall.«
    »Vergiss Ludevik nicht. Dort hat er auch welche besprochen.«
    Ja. Zuerst aber in seinem Verließ, sozusagen als Probe, später bei Ludevik, als hätte er geträumt. Aber es waren tatsächlich keine Träume. Apropos Tonbänder: Ich bin der Meinung, dass es noch andere gibt. Ganz private mit Details, die sonst keinen etwas angehen.«
    Sarah ging nicht auf diese Anspielung ein. »Jetzt kommt aber der entscheidende Teil. Und du musst dir für deine Heldin etwas einfallen lassen, sonst stimmt deine Logik nicht. Wenn ich dich richtig verstehe, hat also sie ihn, deine Heldin
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