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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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Strategie ist die Einteilung der Kraft wohl das wichtigste Kriterium. Und du hast deine Kraft sehr gut eingeteilt. Du bist an deinem Ziel angelangt. Und der Weg dorthin ist sekundär. Allein das Erreichen des Ziels zählt. Siehst du es nicht auch so?«
    »Du sprichst in Rätseln«, beschwerte sich Sarah. »Außerdem sind wir in Urlaub. Ich dachte, wir hätten die unangenehmen Dinge zu Hause gelassen?«
    »Nun, dann will ich es dir anders erklären. Und du wirst mir nicht böse sein für meine Offenheit?« Von der Seite beobachtete Carmen das Gesicht der Freundin, die ein gelbes Band um ihr Haar trug und konzentriert nach vorn schaute, als gäbe es dort etwas ungemein Wichtiges zu sehen. Etwas, das ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte.
    »Wir haben keine Zeugen«, fügte Carmen hinzu, um Sarah die Offenheit schmackhaft zu machen.
    »Ehrenwort, ich werde nicht böse sein.« Wie zum Schwur hob Sarah ihre rechte Hand. Spott blitzte nun in ihren Augen auf, die Mundwinkel zuckten.
    Carmen dagegen blieb ernst. »Und wenn ich richtig liege mit meiner Einschätzung und meiner Analyse, dann hilfst du mir auch bei meinem Problem. Das werden wir dann gemeinsam lösen.«
    »Welches Problem?«
    »Kristian, mein ehemaliger Mann. Aber dazu später. Hilfst du mir dabei?«
    »Wenn du richtig liegst?« Sarah beobachtete von der Seite Carmens von der Sonne gebräuntes Gesicht mit den kleinen Sommersprossen auf der Nase. »Wobei richtig liegst?«
    Carmen hielt Sarah am Kleid fest und zog sie näher zu sich. Amüsiert schaute nun sie zu der Jüngeren, deren Augen übermütig und voller Lebensfreude funkelten. Und zärtlich streichelte sie Sarahs Wange. »Wie verletzlich du aussiehst. Und wie stark du trotzdem bist, meine Sarah. Mit deiner scheinbaren Verletzlichkeit kannst du jeden täuschen.« Nach wenigen Sekunden fügte sie bedeutungsvoll hinzu: »Nur mich nicht.«
    Sarah war zu verwundert, um zu antworten.
    »Wenn man seine Schwächen kennt, dann kann man seine Kraft viel besser einsetzen. Und du hast deine hervorragend eingesetzt.«
    »Carmen, du wirst für mich immer unverständlicher. Bist du auf irgendeinem Trip? Hast du Fieber? Hitzewallungen?«
    »Werde ich das wirklich? Werde ich wirklich immer unverständlicher?«
    Sie steuerten zur Düne, kämpften sich den fließenden Sand hinauf und setzten sich auf eine Bank.
    »Herrlich hier, nicht Sarah?«
    Sie ging nicht darauf ein. »Bitte, was ist mit dir?«
    Carmen ließ die Sandalen fallen, stellte die Füße darauf, legte die Hände in den Schoß und schaute sie lange an. »Deine Lebensgeschichte, ich meine die der vergangenen drei Jahre, ist bestimmt spannend. Aber spannend allein genügt ja heute nicht mehr. Es muss noch etwas Besonderes her. Angenommen, ich dürfte deine Lebensgeschichte verfilmen, dann würde ich sie etwas ändern.«
    »Und warum?«
    »Es gibt viele, die gute Filme machen. Und bewegende und spannende. Ich würde einen besonderen machen wollen und noch etwas hinzufügen. Einen dramaturgischen Kniff sozusagen. Das Tüpfelchen auf dem i.«
    »Das Tüpfelchen auf dem i«, machte Sarah ihren Tonfall nach. »Klingt interessant. Was wäre das denn bitte, dieses Tüpfelchen?«
    »Meine Heldin, ich würde sie auch Sarah nennen, hätte in einigen Situationen anders gehandelt. Wie gesagt, allein unter dem Gesichtspunkt, ich würde einen Film drehen. Einen unterhaltsamen und inhaltsreichen Film mit Tiefgang, der unter die Haut geht und die Zuschauer vielleicht sogar betroffen macht.«
    »Wie hätte sie gehandelt, deine Sarah?«
    »Nun«, begann Carmen und betrachtete das Dünengras, das dem Druck des Windes nachgab und sich verneigte, »sie hätte alles genau so erlebt wie du. Jede Kränkung, jede Schande, jede Demütigung. Und zwar exakt bis …«, Carmen überlegte, »… bis einige Tage vor dem Zeitpunkt, als die Nachricht kam, du wärest in Frankreich bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
    Sarah wartete einige Sekunden mit ihrer Frage, um nicht zu zeigen, wie neugierig und innerlich angespannt sie war. »Was hätte deine Heldin anders gemacht?«
    »Sie wäre von zu Hause ausgerissen, hätte ihren Mann verlassen. Gedemütigt, hilflos, fast mittellos wäre sie geflüchtet, nur weg von diesem Scheusal, weg von diesem perversen Schwein.
    Sie hätte ihre Flucht lange geplant, wäre zum Bahnhof gegangen, vielleicht von Saarburg nach Saarbrücken mit dem Zug gefahren. Aber dort wäre ihre Spur verloren gegangen.«
    »Das heißt, sie nimmt keinen weiteren Zug, sondern den
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