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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
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    »Jetz bin i gmoant«, hat d’Sau gsagt,
wia Schlachttag war.
    Wie jeden Morgen seit einem Dreivierteljahr putzt Fanny Jais
auch heute, an diesem noch frühen Morgen des 29. Mai 1946, die obere Etage
des »Crazy Horse«. Mit den fünf Gästezimmern ist sie gerade fertig. Sie hat die
verschrumpelten Kondome neben den Betten eingesammelt und in die Mülleimer
geschmissen, die Betttücher mit den großen gelben Flecken und manchmal auch
kleinen Blutflecken auf den Gang geworfen. Sie hat die Doppelbetten neu
überzogen, den Boden gewischt, die leeren Flaschen aus den Zimmern geräumt, die
kleinen Kühlschränke mit neuem Bier, Cognac, Whisky und Sekt aufgefüllt. Und
sie hat die schief hängenden Kruzifixe und Heiligenbilder über den Doppelbetten
gerade gerückt und die geklauten Bibeln durch neue ersetzt und auf die
Nachtkästchen gelegt.
    Nun muss sie sich daranmachen, das Büro ihres Chefs zu putzen.
Danach ist unten das große Lokal dran.
    Die abgearbeitete, siebenundfünfzigjährige Fanny Jais, die zehn
Jahre älter aussieht, biegt ihr Kreuz gerade, stöhnt leicht und wischt sich mit
dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. In den Achselhöhlen haben sich in
ihrem Kittel große nasse Flecken gebildet. Sie hebt den klebenden Stoff etwas
an, bläst unter ihre Achseln und spürt die Kühle auf ihrer Haut.
    Bevor sie jedoch das Büro aufschließt, will sie erst mal eine
rauchen. Das macht sie immer so. Mit einem Seufzer lässt sie sich auf dem
Schemel nieder, der jeden Morgen auf sie wartet, holt eine Schachtel
Chesterfield aus ihrer Kitteltasche, fummelt mit ihren vom Putzwasser
aufgeweichten Fingern einen Ami-Stengel heraus, zündet ihn an und pafft. Die
Zigaretten bekommt sie von ihrem Chef geschenkt, mal Camel, mal Lucky Strike,
jetzt Chesterfield.
    Die Asche tippt sie in die leere Corned-Beef-Dose auf ihrem Schoß.
Nach ihrer Pause wirft sie auch die Kippe hinein. Kurz zischt die
Zigarettenglut in dem Putzwasser, das sie in die Dose gegossen hat. Dann rafft
sie sich ächzend auf, fasst nochmals in ihre Kitteltasche und fingert den Bund
mit dem Büroschlüssel und ihre alte Armbanduhr heraus: ein paar Minuten nach
sechs. Es wird Zeit, sich sein Büro vorzunehmen. Sie schließt die Tür auf.
    Ein kalter Luftzug schlägt ihr entgegen. Die Glastür zum Balkon
steht weit offen. Wieso hat er sie am Abend beim Verlassen des Büros nicht
geschlossen wie sonst auch immer?
    Als sie den Raum betritt, erstarrt sie, ihr stockt der Atem: Ihr
Chef liegt neben seinem Schreibtisch auf dem Boden, lang hingestreckt, das
Gesicht zur Decke gerichtet. Rund um seinen Hinterkopf schimmert dunkelrot,
fast schwarz, eine große Blutlache auf dem Linoleum. Und quer auf seiner Brust
liegt sein Gewehr. Seine rechte Hand hält er auf dem Abzugshahn, als hätte er
sich selbst erschossen.
    Ein paar Sekunden lang ist Fanny Jais unfähig, näher zu treten. Nur
langsam kommt wieder Bewegung in ihren Körper. Sie schließt die Bürotür hinter
sich und tritt zitternd an den Leichnam heran. Seine Augen sind weit geöffnet,
als würde er sie erschreckt ansehen. In seiner blutigen Stirn sieht sie ein
schwarzes Loch. Die Blutrinnsale auf seinem Gesicht sind verkrustet. Auch das
Blut auf dem Boden um seinen Hinterkopf ist bereits angetrocknet. Er muss schon
ein paar Stunden so dagelegen haben. Wie betäubt schwankt sie zur Balkontür,
tappt dabei durch die Blutlache, und drückt die Tür zu, schaut zurück auf den
Leichnam.
    Da packt es sie, sie schreit, sie brüllt; wie eine Wahnsinnige rennt
sie die Treppe hinab, hinaus auf die Straße, kreischt: »Dea Nafziger is tot!
Dea Nafziger is tot!«
    Vor dem Haus trifft sie den Zeitungsjungen, der den »Hochland-Boten«
austrägt, um sich etwas Taschengeld zu verdienen. Sie schreit: »Dea Nafziger is
tot!«
    Der dickliche, schnauzbärtige Müllfahrer, der jeden Morgen die
Tonnen hinter dem Lokal leert, kommt hinzu. Sie schreit: »Dea Nafziger is tot!«
    Fanny Jais will den beiden die Leiche zeigen, hastet mit ihnen
hinauf in das Büro und weist fassungslos auf die Glastür zum Balkon: »De hat ea
niea offn lassn!« Verwirrt rennt sie durch den Raum, wieder mitten durch die
Blutlache hindurch, und verteilt überall blutige Fußabdrücke.
    Neugierig wenden der Zeitungsbote und der Müllfahrer die Leiche hin
und her, bis sie auf dem Bauch liegt. Der Müllfahrer zeigt auf den Hinterkopf.
»Da is a Loch.« Mit den Fingern wischt er das Blut vom Linoleum, dort, wo
der Hinterkopf gelegen hat. »Da, da«, sagt
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