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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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du dich so?«, fragte Sarah spöttisch. »Natürlich stimmt das mit Henry. Aber darum geht es mir im Augenblick nicht. Glaube mir, Carmen, Walli hat mich in letzter Zeit sehr beschäftigt. Vor allem deswegen, weil ich dachte, zumindest zu Beginn hätten Henry und ich eine glückliche Ehe geführt. Das erste halbe Jahr. Aber Henry war nur auf der Suche. Auf der Suche nach einer neuen Walli. Geliebte und Mutter in einem. Und weil ich es nicht werden, sie nicht ersetzen konnte, deswegen ist unsere Ehe in die Brüche gegangen.« Sarahs Brust hob und senkte sich, als sie gestand: »Zugeben zu müssen, nicht die richtige Partnerin gewesen zu sein, fällt mir nicht leicht.«
    Carmen versprühte unvermittelt eine Unnahbarkeit, als sei sie in einen Panzer gehüllt. »Willst du damit etwa andeuten, meine erste lesbische Beziehung mit Cynthia, meine Walli, wenn du so willst, habe dazu geführt, dass es mit meinem Mann Kristian nicht gut gehen konnte? Ich immer auf der Jagd nach einer zweiten Cynthia war? Und noch bin?«
    Sarah brauchte nicht zu antworten, ein Blick in ihr Gesicht genügte.
    Am späten Vormittag des kommenden Tages gingen sie in Richtung Strand spazieren. Am Meer angelangt und die auslaufenden Schaumkronen der Wellen beobachtend, die im Sand ihr Leben aushauchten, fragte Carmen: »Was würdest du, wenn du es könntest, ungeschehen machen wollen?«
    Sarah schaute auf ihre nackten Füße, die sich in den weichen Sand eingruben, und spielte mit den Zehen.
    »Den Tod meines Vaters«, meinte sie nach wenigen Sekunden. »Den wollte ich ungeschehen machen.«
    »Sonst nichts?« Carmen hatte allem Anschein nach mehr erwartet.
    »Nein, sonst nichts.«
    Carmen zuckte mit der Schulter, als akzeptiere sie die Antwort. »Ich habe dir einmal gesagt, in dir tobt ein schlimmer Krieg. Tobt er immer noch? Vielleicht jetzt mehr im Geheimen? Du gegen dich selbst?«
    Sarah schaute über die Weite des Meeres. Unzählige Spiegel glitzerten im Sonnenlicht. »Nein, ich glaube er tobt nicht mehr. Es ist eher ein Waffenstillstand.«
    »Kein Friede?«
    »Waffenstillstand«, wiederholte sie.
    »So lange, wie es Henry noch gibt.«
    »Ja.« Sarah war sich vollkommen sicher.
    »Und dann habe ich auch gesagt, dass Männer nur Kriege führen, die sie gewinnen können. Die gegen uns Frauen. Weil sie im Grunde genommen feige sind.«
    Sarah nickte. »Bei einem Spaziergang an der Saar! Ich erinnere mich.«
    »Aber manchmal überschätzen Männer sich auch und führen Kriege gegen Frauen, die sie verlieren müssen. Zwangsläufig verlieren müssen. So, wie Henry gegen dich. Er hat dich total unterschätzt.«
    »Henry hat sich selbst besiegt«, meinte Sarah leichthin.
    Carmen schüttelte den Kopf und lächelte vielsagend. »Henry war gut, aber er hatte nicht dein Format. Du hast ihn besiegt.«
    »Ich?« Verwundert schaute Sarah zu ihrer Freundin. Und dann fragte sie erneut: »Ich?«
    Carmen lächelte, als wüsste sie es besser. Und entsprechend fiel auch ihre Antwort aus. »In uns Frauen schlummern allerlei Kräfte. Und in dir besonders. Wir sind duldsame Wesen. Manchmal auch berechenbare … Luder. Lange können wir uns zurückhalten und leiden und alles über uns ergehen lassen. Aber wehe, wenn ein bestimmter Punkt …« Sie ließ den Satz unausgesprochen.
    »Du meinst Hass. Meinen Hass.«
    »Nicht nur. Auch die Kraft der Berechnung. Und die Kraft, warten zu können, um im richtigen Augenblick zuzuschlagen. Sarah, ich konnte damals nicht warten. Und man gönnte mir keine Verschnaufpause, keine Möglichkeit, mich zu sammeln und meine Vorgehensweise zu überlegen. Ich war ständig in der Defensive und nur noch damit beschäftigt, mich zu rechtfertigen. Das genügte der Gegenseite. Deshalb ging die Scheidung auch für mich nicht gut aus. Mein Mann bekam alles. Du allerdings konntest warten.«
    »Das verstehe ich jetzt aber wirklich nicht.«
    Sie gingen immer noch barfuß weiter. Die leichten Sommerschuhe trugen sie in den Händen. Der Wind verfing sich in ihren weiten luftigen Kleidern und die Sonne zeichnete im Gegenlicht ihre Körperumrisse ab. Sarah hatte einige Pfund zugenommen, und zwar an den richtigen Stellen, wie Carmen meinte. Sie dagegen würde nur allzu gern einige an den richtigen Stellen verlieren.
    Mit leiser Stimme und mehr zu sich selbst begann Carmen zu sprechen. Sarah hatte Mühe, jedes Wort zu verstehen. »Jeder Sportler weiß es. Jeder, der einen langen Weg hinter sich hat, ob im Beruf oder sonst, weiß es. Abgesehen vom Ziel und der
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