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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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sei sie mit ihren zweiundfünfzig ja noch nicht.
    Außerdem trug Mary nun eine andere Frisur. Keinen unförmigen, altmodischen Zopf, sondern die blonden Haare mittellang, modern auf der Seite gescheitelt und mit Dauerwellen.
    Schon vor einigen Wochen war Sarah aufgefallen, dass Mary ihre Nickelbrille gegen eine modische eingetauscht hatte. Etwa zur gleichen Zeit registrierte sie auch zum ersten Mal, dass Mary sich schminkte und engere Kleider trug.
    »Mary, Sie haben sich enorm zu ihrem Vorteil verändert«, hatte sie gesagt. »Ich wusste nicht, dass Sie so schlank sind und eine so gute Figur haben.«
    »Ja, man kann sogar noch im Alter aufblühen«, hatte Mary tiefsinnig geantwortet und sich für das Kompliment bedankt.
    Sarah schien auch die Vergangenheit verkraftet zu haben. Sven Dornwald, ihr Anwalt, hatte alles geregelt, die Scheidung war nicht eingereicht worden. Sarah erkannte deutlich die Gründe, die dagegen sprachen und die Dornwald ihr erläutert hatte, falls sie die Vormundschaft für Henry behalten wolle.
    Als neue Firmeninhaberin führte sie nun die Verhandlungen mit den Koreanern. Erstaunlicherweise wurde sie von ihnen akzeptiert, obwohl sie immer noch von Henry schwärmten, besonders von dessen weltmännischem Auftreten.
    Aber in Norta hatte Sarah einen ausgezeichneten Geschäftsführer zur Hand, der seit Henrys Einweisung in die Anstalt richtig aufzublühen schien. Über Jahre hatte Henry ihn bei jeder sich gebenden Gelegenheit zurechtgestutzt, um gegenüber den anderen zu dokumentieren, wer der Chef sei. Macht und Ohnmacht sind nun mal Geschwister!
    Auch das übrige Personal war motiviert. Nicht zuletzt deswegen, weil mittlerweile jeder Saarburger wusste, was Sarah widerfahren war. Und weil der Ton in den Geschäftsräumen freundlicher und ruhiger wurde, ohne das von Henry gewohnte Anschnauzen und Zurechtweisen – leider auch häufig vor Kunden.
    Der Saarburger Unternehmer Verband hatte keine Einwände, Sarah als Henrys Vertretung zu akzeptieren. Allerdings könne sie nicht erwarten, meinte Ellwanger, auch gleich dessen Vorsitz mit zu übernehmen. Da seien zuerst mal andere dran. So wie er zum Beispiel, der ja schon seit Wochen kommissarisch den Vorsitz führe. Susi, seine Frau, hatte dazu heftig genickt. Vorsitzender des SUV, das war schon was. Und die Ehefrau eines Vorsitzenden auch. Jetzt durfte sie neben ihrem Jonas immer in der Mitte sitzen. Dort, wo einst Henry gesessen hatte. Und die Gille Achterbusch unterhalb von ihr. Das würde sie bestimmt wurmen.
    Sarahs Leben schien wieder in geordneten Bahnen zu laufen. Einige Male war sie mit Wellstein essen gewesen und ins Theater gegangen. Zu mehr war sie jedoch nicht fähig. Wellstein zeigte Verständnis.
    Carmen meinte, sie könne sich in Zukunft wohl nicht immer zurückziehen. Männer seien doch auch manchmal etwas Schönes, wenn man sie richtig zu nehmen wisse. Sie betonte das »auch manchmal« besonders, und Sarah wusste wegen Vanessa, warum.
    »Inzwischen müssten wir doch bei unseren Erfahrungen langsam wissen, wie wir mit ihnen umzugehen haben, nicht?«
    »Weißt du es wirklich?«, wollte Sarah wissen. »Oder meinst du nicht doch, wir könnten wieder den gleichen Fehler machen?«
    »Nie und nimmer«, war Carmen überzeugt. »Du hast mir die Augen geöffnet.«
    »Ich habe dir die Augen geöffnet?«
    »Ja.« Carmen nickte heftig. »Jetzt weiß ich nämlich, wie es gemacht wird.«
    Aber so sehr Sarah auch drängte, um zu erfahren, wie Carmen dies meinte, die Ärztin schwieg. Aber sie sah sie vielsagend an. Ein Blick, dem nichts zu entgehen schien, der eintauchte bis in ihre Seele. »Vielleicht später einmal«, meinte sie ausweichend. »Vielleicht später.«
    Der Sommer brachte der Stadt weit mehr Touristen als all die Jahre zuvor. Eindeutig führte man das auf die vielen neuen Parkplätze zurück, die als Folge eines neuen Geschäftszentrums gleich neben der Stadthalle geschaffen wurden. Alle lobten sie die Weitsicht der Investoren. Und am lautesten lobten nun diejenigen, die noch vor Jahren so vehement dagegen waren und in Kassandrarufen die einzige Möglichkeit der Kritik sahen. Aber warum sollte es in Saarburg anders sein als überall in Deutschland? Zuerst wird einmal jede Innovation kritisiert und demontiert. Das hat Methode. Und die größten Demontierer sind nachher die größten Befürworter. Schließlich haben sie es immer schon gewusst. Kein Wunder, bei ihrer Weitsicht!
    Mit dem Bau des Autohauses Shogun war begonnen worden. Sarah
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