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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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Sarah, den armen Henry …«
    »… Henry ist nicht arm. Er hat alles verdient, was ihm widerfahren ist«, unterbrach Carmen sie.
    »… den armen Henry zwei Wochen in diesem Dreckloch gefangen gehalten.«
    »Ja.« Carmen war sich sicher.
    »Und irgendwann bist du mit Klaus Ludevik gekommen, und ihr habt Henry gefunden. Aber nicht im Weinkeller, sondern in der Wohnung. Wie ist er dort hingekommen?«
    Carmen hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Er war nicht ansprechbar. Henry hätte von jedem in die Wohnung gebracht werden können, ohne das er es merkte.«
    »Von jedem, das mag ja stimmen. Auch von deiner Heldin Sarah? Auch von mir?«
    Carmen antwortete nicht.
    »Gut, das war Henry. Und einen Tag später habt ihr mich gefunden. Eingeschlossen im Weinkeller. Wie habe ich ausgesehen?«
    »Schlimm und schrecklich und so abgemagert, und total verdreckt. Und dann diese komischen hellroten Flecken am ganzen Körper.« Carmen schüttelte sich.
    »Wohl wegen der mangelhaften Hygiene«, erklärte Sarah.
    Carmen nickte. »Unter anderen Umständen würde ich sagen, die Flecken hätten auch eine Allergie sein können.«
    »Allergie?«
    »Ja. Du bist doch allergisch, nicht?«
    Sarah nickte. »Auf Tomatensaft. Steht bestimmt in deinem Arztbericht.«
    »Dem ist so«, bestätigte Carmen.
    »Hat der Schlüssel nicht auch noch von draußen gesteckt?«
    »Ja, Sarah. Leider.«
    »Was heißt hier leider.«
    »Weil ich keine Möglichkeit sehe, die Logik zu überlisten. Meine Heldin kann sich nicht eingesperrt haben. Und sie kann nicht, auch wenn sie es wollte, ohne fremde Hilfe diesen Raum verlassen haben. Ich habe ihn mir genau angeschaut. Sogar mit einem Schraubenzieher wäre es nicht gegangen, denn die Schrauben der Scharniere waren eingerostet. Das hat mir Breuer bestätigt. Eingerostet und kaum noch zu lösen.«
    »Wann hast du nachgesehen? Als ich im Krankenhaus war?« Sarah schien das Atmen zu vergessen. Die Anspannung lies ihren Blick starr erscheinen.
    »Später. Erinnerst du dich, als wir in die Diskothek fahren wollten?«
    Carmen bemerkte nicht, wie Sarah erleichtert aufatmete. »Ja, und du Henrys Band im Radio abspieltest.«
    »Mich hat der Weinkeller wie magisch angezogen. Ich musste ihn unbedingt noch mal sehen und genau inspizieren. Leider war er sehr penibel gesäubert worden. Nichts deutete mehr auf die schlimme Vergangenheit hin.«
    »Und schon damals wolltest du für deine Heldin ein anderes, ein spannenderes Ende konstruieren?«, wunderte sich Sarah. »Ist denn meines nicht spannend genug?«
    Carmen zögert mit der Antwort und meinte ausweichend: »Komm, wir gehen zurück ins Hotel. Es gibt bald Abendessen.«
    Die beiden Frauen erhoben sich. Und während sie die Düne erstiegen, die Füße sich in den weichen Sand eingruben und die feinen Körner zwischen den Zehen kitzelten, sagte Carmen: »Sarah, dein Ende ist das spannendste Ende, was man sich vorstellen kann. Denn nur du allein kennst es.«
    Von Mal zu Mal hatte Sarah immer noch diesen Traum. Vor Monaten war sie deswegen verängstigt, weil er ihr sehr real vorkam. Sie sah sich in dem Weinkeller, von Henry eingesperrt. Sie sah sich gequält und gepeinigt, musste ihm sexuelle Dienste leisten, sich ihm unterwerfen, gefügig und ihm hörig sein. Und immer wieder schloss Henry sie anschließend in diesen dunklen, modrigen Weinkeller. Wie ein Stück Vieh. Um sie zu rufen, wenn ihm danach war. Eingesperrt wie ein Stück Vieh. Vom eigenen Mann noch weniger respektiert als der letzte Hund.
    Und sie hatte viel Zeit. Zeit, sich umzuschauen, zu denken, sich davoneilen zu sehen wie ein Geist, der einfach durch die Wand schlüpfte. Aber sie war kein Geist, sie konnte nicht durch die Wand schlüpfen. Und trotzdem wollte sie hinaus. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach Freiheit. Aber es gab nur diese eine Tür. Aus Holz gezimmert, viel zu massiv für ihre schmalen Hände und ihren schwachen Körper. Aber sie wollte hinaus. Henry jedoch hatte die Tür immer sorgfältig verschlossen. Von außen. Und ließ den Schlüssel stecken.
    Zuerst war es nur ein Gedankenspiel. Was wäre, wenn. Was wäre, wenn es mir gelänge, am Rahmen die drei Schrauben der Scharniere zu lösen, an der die Tür befestigt ist. Dann, so sagte sie sich, ginge sie auf. Zwar wäre sie verschlossen, aber sie ginge auf der anderen Seite auf. Also muss ich die Schrauben lösen, überlegte Sarah. Aber womit. Nur Regale, überall nur mit der Wand verschraubte Regale. Und dann dieses verstaubte, alte
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