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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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Kräuterklinik in Tijuana aufsucht.
    »Der Detektiv«, sagte Jacques Silette 1960 in einem Interview mit
Le Trimestrielle des Détectives,
»ist weder seinem Auftraggeber noch der Öffentlichkeit verpflichtet, sondern einzig und allein der schrecklichen, monströsen Wahrheit.«
    Ich kannte eine Frau, die eine dieser Kliniken in Tijuana aufgesucht hatte. Hirntumor im Endstadium. Bevor sie nach Mexiko fuhr, sagten die Ärzte, sie habe nur noch sechs Monate zu leben, höchstens neun. Wahrscheinlich weniger.
    Nach ihrer Rückkehr legte man sie in einen Ganzkörperscanner und zapfte ihr literweise Blut ab, um einen Test nach dem anderen durchzuführen.
    Man konnte keine einzige Krebszelle mehr nachweisen.

[home]
    4
    L ydia saß auf der Verandatreppe ihres Hauses, das Pauls Haus gewesen war, in der Florida Street im Mission District. Sie weinte nicht. Sie stand immer noch unter Schock. Die Streifenwagen, deren weißes Scheinwerferlicht von der Nacht verschluckt wurde, bildeten einen Halbkreis um sie. Ich entdeckte Officer Lou Ramirez und Detective Huong, die neben einem Auto standen und Kaffee tranken.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Raubmord«, sagte Huong ungerührt. »Zumindest sieht alles danach aus. Die dachten wohl, es wäre niemand zu Hause, und dann haben sie Panik gekriegt.«
    »Wie sind sie reingekommen?«, fragte ich.
    »Entweder mit einem Dietrich oder mit einem Schlüssel. Möglicherweise war die Tür nicht abgeschlossen. Laut Aussage der Ehefrau fehlt eine ganze Menge – Fernseher, DVD -Player, Musikinstrumente. Anscheinend hat das Paar einen Haufen Wertsachen besessen.«
    »Sie sind beide Musiker von Beruf«, sagte ich.
    »Und deswegen war sie nicht zu Hause?«, fragte Ramirez. »Die Frau, meine ich. Hatte sie einen Auftritt?«
    »Das kann ich herausfinden«, sagte ich. Wahrscheinlich war Lydia die Frage heute Nacht schon tausendmal gestellt worden, aber untereinander tauschten die Cops sich nicht aus. So was machten sie einfach nicht. »Was ist passiert?«, fragte ich.
    Huong sagte: »Der Nachbar hat einen Schuss gehört. Er hat gewartet, ist raus, hat nichts gesehen und trotzdem die Polizei gerufen. Ramirez war als Erster hier. Er hat geklingelt, keiner macht auf, er tritt die Tür ein und findet das Opfer.«
    »Und was noch?«, fragte ich Ramirez.
    »Wie, was noch?«, fragte er zurück.
    Ramirez konnte mich nicht leiden, aber er war mir einen Gefallen schuldig. Seit dem Mord im Kabuki. Eigentlich schon davor, allerdings hatten wir uns nur in diesem konkreten Fall auf eine Schuld geeinigt. Mir war jedoch klar, dass Ramirez und Huong mich nicht gerufen hatten, um mir einen Gefallen zu tun. Sie wollten einen Puffer zwischen sich und Lydias hemmungslosen Schmerz bringen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Sobald ich ihnen die Drecksarbeit abgenommen hätte, würden sie versuchen, mich schnell wieder loszuwerden. Wir waren keine Verbündeten.
    »Alles«, sagte ich. »Alles, was Ihnen aufgefallen ist.«
    Er runzelte die Stirn. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Egal, was«, fuhr ich fort. »Was ging Ihnen als Erstes durch den Kopf, als Sie …«
    Mir wurde schwindlig. Ich stützte mich am Streifenwagen ab.
    Ich bin Detektivin,
ermahnte ich mich,
ich bin Detektivin und ermittle in einem sehr wichtigen Fall. So, wie ich es mir immer gewünscht habe.
    Die Runzeln auf Ramirez’ Stirn wurden noch tiefer. »Ich dachte: Mann, irgendjemand hatte eine Stinkwut auf den Kerl«, sagte er und fügte hastig hinzu: »Ich meine, ich weiß ja gar nicht, ob das stimmt. Ich habe es nur gedacht.«
    »Danke«, sagte ich. Er zuckte die Achseln und drehte sich um, so als hätte ich ihn beleidigt. Er warf Huong einen verstohlenen Blick zu, und beide schnitten eine Grimasse.
    Dass sie mich für verrückt hielten, war mir egal. Ich würde den Fall aufklären. Ich würde herausfinden, wer Paul ermordet hatte. Danach würden sie mich immer noch für verrückt halten, und es wäre mir immer noch egal.
    Ich sah die Streifenwagen und Lydia auf der Treppe, und für einen Augenblick fragte ich mich, ob das hier wirklich passierte.
    Huong und Ramirez entfernten sich.
    »Warten Sie«, sagte ich, »Moment mal!«
    Sie drehten sich um.
    »Er hatte eine Waffe«, sagte ich. »Warum hatte er eine Waffe dabei, wenn er der Meinung war, es wäre niemand zu Hause?«
    »Oder sie«, sagte Huong.
    Ich nickte. Es gab nicht viele Raubmörderinnen, aber man konnte nie wissen.
    »Die ganze Ausrüstung«, sagte ich, »Gitarren,
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