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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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angegebene Adresse. Es war nur so ein Gedanke, aber alles im Leben fing so an. Mit einem Gedanken.
    Ich schickte Bix seinen Comic zurück, zusammen mit einem Hundertdollarschein und einem Entschuldigungsschreiben. Ich hatte mich oft zu entschuldigen. Ich konnte genauso gut jetzt damit anfangen.

[home]
    61
    E inige Tage später rief ich den Lama an. Er hatte mit Trey gesprochen, der immer noch keine Neuigkeiten von Andray hatte.
    Ich stand auf der Stockton Street vor dem veganen Chinarestaurant. Durch die Glasscheibe konnte ich den Fernseher über dem Tresen erkennen.
    Die Erleuchtete Meisterin ist unser Ein und Alles,
lief es über den Bildschirm.
Jeder von uns ist eine Erleuchtete Meisterin. Zu dienen bedeutet Glück. Das Glück ist dein Geburtsrecht und das Nirwana ist ein Vogel in deiner Hand. Selbst in der dunkelsten Nacht wird immer ein Stern leuchten.
    Nach dem Lama rief ich Claude an.
    »Leg eine neue Akte an«, sagte ich, »wir haben einen Fall.«
    »Wie soll ich ihn nennen?«, fragte Claude.
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte ich. »Aber ich werde Andray finden. Das ist unser nächster Fall. Wir finden Andray.«

[home]
    62
    E in paar Tage später fuhr ich mit meinem Leihwagen, einem Kia, nach Las Vegas. Ich hatte ihn für einen Monat gemietet. Von meinem Mercedes hatte ich immer noch nichts gehört, was vielleicht das Beste war. Hauptsache, er war nicht zu meinem Sarg geworden.
    Als ich ihn – oder sie – bemerkte, war ich schon in Oakland. Ein 1982 er Lincoln Continental, eins meiner Lieblingsautos. Außen weiß, innen blutrot.
    Auf der Bay Bridge hatte ich zum ersten Mal den Verdacht, er könnte mir folgen. Etwa von der Stelle an, wo Pauls Auto versagt hatte. Der Wagen war seit Chinatown hinter mir, aber ich dachte, ich bilde mir etwas ein. Es war ja nicht gerade ungewöhnlich, an einem überraschend sonnigen Tag von Chinatown zur East Bay hinüberzufahren. Aber als ich mitten auf der Brücke vom Gas ging, weil ich plötzlich wieder an Paul denken musste, wieder und wieder an Paul, überholte er nicht. Ich beschloss, die Probe aufs Exempel zu machen. Ich verließ den Highway in Oakland und fuhr zu einem eher unbekannten Ort, einer kleinen Uferpromenade samt Anleger, wo ein paar Gebäude im viktorianischen Stil die unzähligen Wiedergeburten Oaklands unbeschadet überdauert hatten.
    Der Lincoln folgte mir im immergleichen Abstand. Ich war nicht paranoid.
    Der Lincoln hielt Abstand, aber als ich an einer roten Ampel zum Stehen kam, beschleunigte der Fahrer. Kaum ein Mensch war zu sehen, nur ein paar Frauen, Prostituierte vielleicht, und ein paar Arbeiter aus den nahe gelegenen Fabriken auf dem Weg zum Mittagessen.
    Und er bremste nicht.
    Als der Lincoln mich zum ersten Mal von hinten rammte, dachte ich nicht nach. Ich überfuhr die rote Ampel, vor der ich stehen geblieben war – es gab keinen Verkehr –, und trat das Gaspedal durch. Aber der Lincoln war unerwartet schnell, und bald krachte er wieder in meine Stoßstange, und eine unangenehme, zitternde Druckwelle ging durch mein Auto.
    Ich versuchte mein Bestes, ihn abzuhängen. Es klappte nicht. Beim dritten Mal rammte der Lincoln mich von der Seite. Die schwere Stoßstange bohrte sich ins Auto.
    Der Lincoln drückte mich gegen einen parkenden Van. Ich würde sterben.
    Der Fahrer des Lincoln legte den Rückwärtsgang ein. Ich war nicht tot. Meine Fahrertür hatte der Van eingedrückt. Ich löste den Sicherheitsgurt und versuchte es auf der Beifahrerseite.
    Die Tür klemmte.
    Ich ließ mich auf den Rücken fallen und zog die Knie an, um die Seitenscheibe einzutreten. Aber noch bevor es dazu kam, hörte ich Schreie und Kreischen und einen entsetzlichen, metallischen Knall. Ich hatte das Gefühl, von Wellen umgerissen zu werden und den Boden unter den Füßen zu verlieren. Man ist unter Wasser und findet es irgendwie lustig, bis man denkt: Oh, Moment mal, ich ertrinke!
    »Heilige Scheiße!«, schrie jemand. »Du hast sie umgebracht! Bist du verrückt geworden? Du hast sie umgebracht, verdammt!«
    Ich wurde wieder klar im Kopf. Das Knirschen von Metall auf Metall verhallte, und ich tauchte auf.
    Ja, vielleicht hat er das wirklich,
dachte ich. Ich öffnete die Augen und sah rote und weiße Blitze zucken, wo ich eigentlich meine Beine vermutet hätte.
Ich glaube, so ist es.
    »Du Arschloch!«, schrie ein anderer. »Die Lady wird sterben!«
    Die Ironie des Schicksals – möglicherweise kam ich gerade bei einem Verkehrsunfall um – entging mir
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