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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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betreute. Ich fuhr nach New Orleans und löste den Fall des grünen Papageien, und als ich zurückkam, traf ich Paul und Nita zufällig in dem veganen Restaurant in Chinatown, wo er Nita erzählte, er habe mich sehr geliebt.
    Danach telefonierten wir gelegentlich, und als wir uns an jenem Abend im Shanghai Low zufällig begegneten, hatte ich wieder diesen Magnetismus gespürt, diese dunkle, zähflüssige Strömung, die mich zu ihm hinzog. Und ich dachte, wir könnten vielleicht, nur vielleicht …
    Und dann kam Lydia herein.
     
    Lydia saß in Gefängnistracht auf dem Gefängnisstuhl. Ich nahm ihr gegenüber Platz.
    »Ich habe ihn so geliebt«, weinte sie. »Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ihn so zu lieben hat mich verrückt gemacht. Er hat dich immer viel mehr geliebt«, sagte sie, »das wusste ich. Ich habe so getan, als wüsste ich nichts, aber ich wusste es. Ich war sein Notnagel, die zweite Wahl. Ihr hättet zusammen sein sollen, nicht wir. Nichts davon wäre passiert, wenn du ihn zurückgeliebt hättest.«
    »Und deswegen hast du ihn umgebracht?«, fragte ich. »Aus Eifersucht?«
    »Natürlich nicht«, sagte sie. »Ich wollte nicht … das habe ich nie gewollt. Es ist ja nicht so, dass ich es geplant hätte. Glaubst du, ich wollte, dass es so weit kommt?«
    »Ich weiß nicht, was du wolltest«, sagte ich.
    »Ich dachte …«, fing sie an. »Ich weiß nicht, was ich dachte. Ehrlich. Ich dachte, irgendwie … mit der Waffe … als könnte ich ihn zwingen, mich zu lieben. Ich wusste nie … ich wusste nie, wie ich jemanden dazu bringen kann, mich zu lieben, und keiner hat mich je geliebt. Ich will mich nicht beschweren, ich weiß ja, woran es liegt. Das weiß ich. Ich dachte, natürlich nicht bewusst, denn ich weiß ja, man kann niemanden zwingen zu lieben. Ich wollte nur so sehr, dass er mich liebt, und …«
    Die Stimme versagte ihr, und sie weinte noch lauter.
    »Ich habe solche Angst«, flüsterte sie. »Ich werde davon ganz verrückt.«
    Ich schwieg.
    »Ich denke immer, er ist noch da«, sagte sie. »Ich denke immer, jetzt rufe ich Paul an. Oder ich denke, er ist hier im Raum, bei mir, und er weiß, was ich getan habe und …«
    »Vielleicht bist du gar nicht verrückt«, sagte ich. »Vielleicht ist er wirklich bei dir.«
    Sie weinte noch lauter.
    »Ich will sterben«, heulte sie, »bitte, Claire, bring mich einfach um, ich weiß, dass du es willst.«
    Ich überlegte. Es wäre nicht schwer. Sie meinte es ernst und würde keinen Widerstand leisten.
    Ich könnte sie am Hals packen und ihr das Genick brechen.
    Irgendwie wollte ich sie tatsächlich umbringen.
    Ich streckte die Hand aus und legte sie ihr an den Arm, knapp oberhalb des Ellbogens.
    »Oh, Claire«, sagte sie, »ich habe solche Angst. Bitte vergiss mich nicht«, sagte sie. »Bitte vergiss mich nicht hier drinnen. Ich habe solche Angst.«
    »Nein, das werde ich nicht«, sagte ich und drückte ihren Arm.
    »Ich will sterben«, schluchzte sie, »o Gott, ich will nicht mehr leben. Bitte. Bitte, hilf mir.«
    Es gibt keine Zufälle. Nur Türen, durch die man sich nicht zu gehen traute. Nur blinde Flecken, die man sich nicht zu sehen traute. Nur Töne, die zu hören man nicht zugeben wollte.
    »Ich besuche dich«, sagte ich. »Ich lasse dich nicht allein. Versprochen. Ich werde dich nicht vergessen. Das wird schon«, sagte ich. Ich beugte mich vor und berührte ihre Arme und küsste sie auf die Stirn. »Alles wird gut.«
    Ich wusste nicht, ob ich mir glaubte. Vielleicht nicht jetzt. Aber eines Tages womöglich.
    Ich blieb bei ihr, bis die Wärter mich hinauswarfen.
    Der Fall des Kali Yuga war abgeschlossen.

[home]
    60
    A n dem Abend fand ich zu Hause den Cynthia-Silverton-Comic, den ich bei Bix eingesteckt hatte. Ich blätterte darin herum, bis ich die Anzeige auf Seite 108 gefunden hatte.
    Werde Detektiv!,
stand da.
Geld! Abenteuer! Detektive werden von Männern wie Frauen bewundert. Jedermann sieht zu einem klugen, gebildeten Menschen auf. Unser Fernlehrgang bietet dir die Gelegenheit, bequem und von zu Hause aus einen Detektivausweis zu erwerben!
    Ich nahm einen Zettel und schrieb.
     
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich arbeite bereits als Detektivin, würde meine Fertigkeiten aber gern verbessern. Bieten Sie auch Fort- und Weiterbildungskurse an? Kann ich mich trotz meines Alters und meiner Erfahrung für den Fernlehrgang einschreiben? Bitte antworten Sie an folgende Adresse: …
     
    Ich unterschrieb und schickte den Brief an die
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