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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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gut. Ich sah mich um. Tabitha war nirgends zu entdecken.
    Ich lief los und fand mein Auto. Ich stieg ein.
    Ich konnte Bremse und Gaspedal nur mühsam auseinanderhalten, aber schließlich hatte ich den Motor gestartet und fuhr los. Die Stadt war kalt und dunkel. Ich kurvte durch die Gegend. Der Zuckerpegel sank, und bald war ich wieder high von den Drogen, vor Hunger, vom Schlafmangel, der schon Tage, Wochen, Monate andauerte. Seit hundertsechzehn Tagen.
    Ich fuhr auf dem Highway. Es musste vor oder nach dem Berufsverkehr sein, denn auf den Straßen war kaum jemand unterwegs. Der Himmel war dunkellila und erbarmungslos weit. Zu meiner Linken glitzerte die tiefe, unendliche Bucht. In Wirklichkeit war sie nicht unendlich. Ich kurbelte das Seitenfenster herunter, und die Welt stürzte mit Getöse auf mich ein. Ich kurbelte das Fenster wieder hoch. Ich ließ eine Hand am Steuer und durchwühlte mit der anderen meine Handtasche auf der Suche nach Adams letztem Päckchen. Ich wurde fündig –
Das letzte Galapagos-Chamäleon
 – und zog mir zwei große Prisen rein. Blut lief mir übers Gesicht.
    Plötzlich wurde mir kalt. Ich bekam ein seltsames Gefühl im Hinterkopf und roch Rauch. Ich hörte ein langgezogenes Hupen und ein wiederholtes, metallisches Knirschen. Farbblitze, dann Dunkelheit. Ich wollte meine Augen öffnen, konnte sie aber nicht finden. Nichts bewegte sich, nichts schien willens, sich zu bewegen.
    Es war dunkel. Es war so dunkel wie nie zuvor.
     
    »Scheiße, Mann! Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ruf den Notarzt!«
    »Ich werde gesucht und habe keinen Führerschein. Ich ruf ganz bestimmt keinen Notarzt.«
    »Wir können sie nicht hier liegen lassen!«
    »Scheiße, sieh sie dir an, los, halte ihre Zunge fest, mach irgendwas!«
    »Scheiße, die ist übel verletzt. Wir müssen …«
    »Komm, wir heben sie hoch, ich kenne da jemanden.«
    »Sie muss ins Krankenhaus.«
    Ich hatte einen zweiten, kürzeren Anfall. Meine Nerven bebten, während ein Gewittersturm durch mein Gehirn fegte.
    Ich spürte fremde Hände und den Boden an meinem Rücken. Ich wusste, ich hatte in einem Auto gesessen.
    »Wir legen sie hinten rein. Vorsichtig …«
    Ich spürte die Hände und die kalte Luft an meinem Rücken.
     
    Ein Auto. Lichtstreifen, die an Hausfassaden zerren, und vor uns rote Monster. Wieder die Hände und der Duft von Mammutbäumen.
    »Und die kümmern sich um sie?«
    »Ja, die nehmen sie auf. Die weisen niemanden ab.« Jemand lachte. »Nicht einmal mich.«
    »Wird sie wieder gesund?«
    »Wir alle werden wieder gesund«, sagte die Stimme. »Ich weiß allerdings nicht, ob es heute passiert.«

[home]
    58
    S o kam es, dass Jenny mich, als sie morgens vor die Pforte des Dorje-Tempels trat, wie einen Fötus zusammengekrümmt und mit meiner Jacke über dem Kopf unter dem großen Mammutbaum liegen sah. Ich zitterte, mein Gesicht und meine Haare waren blutverschmiert und mein linker Arm von oben bis unten von Glassplittern zerschnitten. Ich schwebte zwischen Bewusstlosigkeit und Tod.
    Man holte mich herein und legte mich in einer Kammer neben den Räumen des Lama ins Bett. Der Lama rief einen alten Bekannten an, der als Arzt praktizierte, und der Bekannte untersuchte mich und befand meinen Gesundheitszustand für gut. Ich sei erschöpft und zerschrammt, unterernährt und dem Tode nah. Alles sei problemlos zu behandeln.
    »Halten Sie sie von Drogen fern und päppeln Sie sie auf«, sagte der Arzt. Er sagte es so, als sei es das Einfachste von der Welt. Als hätte ich es nicht mein Leben lang versucht.
    Ich schlief in meiner Kammer tagelang durch. Als ich aufwachte, schmerzte mein ganzer Körper vom Unfall. Ich war erschöpft. Ich wollte nicht schon wieder gerettet werden. Der Lama saß an meinem Bett und reichte mir grünen Tee mit Kräutern.
    Ich trank den Tee. Der Lama bot mir etwas zu essen an, aber ich lehnte ab. Ich starrte die Wand an.
    »Wir machen diese Prüfungen nicht aus reinem Vergnügen durch«, erklärte der Lama. »Wir tun es für den Erkenntnisgewinn. Zur Läuterung. Damit wir beim nächsten Mal nicht dieselben Fehler machen.«
    Ich wollte kein nächstes Mal. Ich wollte keine verdammten Lektionen mehr lernen. Ich sehnte mich nach Tracy. Nach Constance. Nach Paul. Nach Menschen, die mich liebten. Mit ihnen wollte ich neu anfangen. Ich wollte eine andere sein. Sollte sich doch sonstwer darum kümmern, wer den Professor in der Bibliothek mit dem Armleuchter niedergeknüppelt hatte! Mir war es scheißegal. Ich
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