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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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Eines Tages würde ich nicht mehr Detektivin oder Auftraggeberin sein, sondern das Opfer, und dann wäre alles vorbei. Dann hätte ich endlich mal einen Tag frei.

[home]
    5
    G egen Mittag wachte ich auf und rief bei der Polizei an. Sie hatten keine Neuigkeiten für mich. Ich suchte das Telefonbuch und machte mich daran, Instrumentenhändler und Leihhäuser anzurufen. Ich wusste nicht genau, was gestohlen worden war, beschrieb meinen Gesprächspartnern aber in groben Zügen, worum es ging – seltene, alte, kostbare Instrumente mit starken Gebrauchsspuren –, und ließ sie wissen, dass die Belohnung um ein Vielfaches höher war als der Gewinn, den sie mit dem Verkauf von ein paar Klampfen und Verstärkern erzielen würden. Danach postete ich die Nachricht in verschiedenen Foren und Blogs für Sammler, Händler und Instrumentenbauer. Viele dieser Leute kannten Paul und Lydia persönlich oder wussten, welche Instrumente das Paar spielte. Das Internet war auf unserer Seite. Schon machte das Thema die Runde, schon wurde nach den verschwundenen Gitarren Ausschau gehalten.
    Während Lydia schlief, rührte ich ihr einen großen Shake aus Eiweißpulver, Espresso, Kakao, Maca, Astragalus und geriebenem Bocksdorn an. Der Tod und feste Nahrung sind unvereinbar. Um zwei Uhr weckte ich sie, weil wir um vier einen Termin auf der Wache hatten. Sie sagte nichts. Sie trank einen Schluck von dem Shake und fing wieder zu weinen an.
    Um halb fünf hatten wir es auf die Wache geschafft. Ich fühlte mich, als schöbe ich eine Leiche durch die Gegend, die nur widerwillig mithalf.
    Für die Ermittler war es wichtig zu erfahren, woran Lydia sich erinnern konnte. Ich musste draußen warten. Zu Verhören sind Privatdetektive nicht zugelassen. Ich untersuchte Lydias Handy und rief die meistgewählte Nummer an. Es war die ihrer Freundin Carolyn. Ich hatte sie ein paarmal gesehen. Ich erklärte ihr alles und bat sie, zur Wache zu kommen. Ich bat sie auch, allen Bekannten wegen Paul Bescheid zu geben. Ob sie wisse, wie man eine Beerdigung organisiert?
    »Klar«, lachte sie verbittert, »damit kenne ich mich aus.«
    Als Carolyn eintraf, saß Lydia immer noch im Verhörraum. Carolyn hatte wilde, blonde Locken, trug eine dicke Schicht Make-up, ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Vintage-Mantel mit weißem Fellkragen. Sie sah wütend aus. Ich schilderte ihr kurz, was passiert war.
    »Dieser Abschaum«, sagte sie. »Solche Leute sollte man an den Eiern aufhängen und verschimmeln lassen.«
    Ganz so drastisch sah ich es nicht, aber ich musste zugeben, dass auch diese Sichtweise ihre Berechtigung hatte. Ich wartete, bis die Befragung vorbei war und Lydia aus dem Verhörraum kam. Carolyn wirkte zuverlässig und willig, Lydia zu übernehmen, also ließ ich sie gewähren.
    Ich fuhr wieder nach Hause und parkte in der Garage an der Stockton, wo ich einen Stellplatz gemietet hatte. Als ich die Tür zuschlug, fiel es mir ein – Pauls Auto. Das Auto des
Opfers.
Wo stand es? Ich kritzelte eine Liste auf die Rückseite eines Strafzettels: das Auto, der Haustürschlüssel, die Gitarren, der Nachbar.
    Die Schusswaffe, der Nachbar. Schlüssel, Verstärker. Ein Mörder. Ein Opfer. Und wir Hinterbliebenen, die armen Trottel.
    Es war dunkel, und es regnete. Alle Kontraste wirkten überscharf, irgendetwas stimmte mit den Lichtverhältnissen nicht. Bei meiner Wohnung handelte es sich um ein großes Loft mit unzureichend voneinander abgetrennten Bereichen: Schlafzimmer, Bad, Küche, Ankleide. Ein weitläufiger Raum mit antiken Möbeln und viel zu vielen Büchern, Klamotten und Unterlagen, die überall verstreut waren, dazu eine seltsame Wanddeko aus alten Supermarktschildern und Fahndungsfotos und einer Augenarzttafel auf Hindustani. Alles Gegenstände, die ich für schön hielt. Sie sollten beruhigend auf mich wirken, aber heute funktionierte es nicht. Im Medizinschrank fand ich eine halbvolle Flasche schlaffördernden Hustensirup, den ich vor einigen Jahren aus Mexiko mitgebracht hatte. Ich schluckte ein Viertel davon, legte mich ins Bett und schlief wie eine Tote, traumlos, fast bis zum Mittag des nächsten Tages.
     
    Später rekonstruierte ich den Ablauf. Am Tatabend hatte das Opfer zwei Gitarren, einen Verstärker und einen kleinen Koffer in seinen Wagen geladen, einen 1972 er Ford Bronco, und sich auf den Weg nach Los Angeles gemacht. Dort sollte Paul am nächsten Tag einen kleinen Auftritt an der Uni haben. Er hatte eigentlich früher losfahren wollen,
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