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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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hatte es aber nicht geschafft. Das Opfer verspätete sich oft. Lydia war zunächst daheim und verließ das Haus gegen zehn Uhr abends, um sich im Make-Out Room, einem Club in der 24 . Straße, ein Konzert der Band Silent Film anzusehen. Gegen Mitternacht meinte ein Nachbar, einen Schuss gehört zu haben, und verständigte die Polizei. Die Polizei kam. Die Leiche wurde gefunden. Lydia kam nach Hause und sah alles. Man vermutete, dass Paul eine Panne gehabt und nach Hause getrampt war, aber Genaueres wusste niemand. Es war die einzige logische Erklärung, und ich hielt sie für wahrscheinlich. Die Polizei ging davon aus, dass der Einbrecher überrascht worden war und Paul erschossen hatte, um nicht erwischt zu werden.
    Bei der These war ich mir nicht so sicher.

[home]
    6
    M it fünfundzwanzig habe ich in Los Angeles gelebt, wenn man das
leben
nennen kann. Ich hatte weiter nichts zu tun. Ich arbeitete für einen Detektiv namens Sean Risling, der ein Lexikon der Giftorchideen herausgeben wollte. Ich sammelte Proben, forschte und schrieb. Abends ging ich auf den Sunset Boulevard und kaufte kleine Zwanzigdollarbeutel mit Kokain, manchmal etwas billigere mit Heroin, die in die ausgerissenen Seiten eines Katzenmagazins eingewickelt waren. Ich wohnte in wechselnden Hotels in Hollywood. Als Constance Darling, die berühmte Detektivin aus New Orleans, nach dem HappyBurger-Mord in die Stadt kam und eine Assistentin suchte, stellte Sean mich ihr vor. Risling sprach wenig und verstand viel.
    Constance war berühmt, zumindest in Detektivkreisen. Vor vielen Jahren, als meine Kindheit zu Ende ging, fand meine Freundin Tracy in meinem verstaubten, tristen Elternhaus in Brooklyn eine kleine, gelbe Taschenbuchausgabe von Jacques Silettes
Détection.
Unser Leben war ruiniert, denn fortan hatten wir nur noch ein Ziel: Detektivinnen zu werden. Vor allem Tracy, die Talentierteste von uns allen, die Jahre später selbst zu einem Rätsel wurde, indem sie spurlos verschwand und nichts hinterließ als ein tracyförmiges Loch in der Welt. Sie war aus dem Leben geschnitten worden wie eine Papierfigur.
    In meinen Augen waren Silette und seine Anhänger so etwas wie Rockstars, Prominente. Ich war jedesmal überrascht, wenn niemand sie kannte.
    War es nicht wichtig, Rätsel zu lösen? War die Wahrheit nicht von Bedeutung? Silette hatte es natürlich vorausgeahnt. Er wusste, die Wahrheit war die unpopulärste aller Möglichkeiten, und daran würde sich nie etwas ändern. »Falls uns Menschen etwas eint«, schrieb er, längst alt und verbittert geworden, während der Pariser Studentenunruhen an Constance, »ist es unsere Liebe zu Lug und Trug und unsere Abscheu vor der Wahrheit.«
    Während der Arbeit am HappyBurger-Mord schien Constance mit mir zufrieden, aber nie hätte ich zu hoffen gewagt, dass sie mich dauerhaft zu ihrer Assistentin machen würde. So dauerhaft, wie es im Leben möglich ist; Constance starb vier Jahre später in New Orleans, wo sie für ein paar hundert Dollar in ihrer Chanel-Handtasche, die inzwischen mir gehörte, erschossen wurde.
    Constance hatte mir im Chateau Marmont ein Zimmer auf ihrer Etage gemietet. Ich wusste nicht, wie ihre Pläne aussahen. Ich hatte mir vorgenommen, bei ihr im Marmont zu bleiben, bis sie mich rausschmiss. Ich hatte sowieso keine andere Bleibe mehr. Mein billiges Hotelzimmer am Hollywood Boulevard hatte ich gekündigt, als Constance mich einstellte, und so würde ich eben am Busbahnhof oder oben im Griffith Park schlafen, neben dem Observatorium. Sobald Sean mich bezahlte, würde ich mir ein neues Hotel- oder WG -Zimmer suchen.
    Aber am nächsten Morgen rief Constance mich in ihre Suite.
    »DeWitt«, sagte sie. Sie saß an einem langen Tisch und trank Malzkaffee, dessen holziger Geruch mir fremd war, an den ich mich aber schnell gewöhnen sollte. Sie beobachtete mich und legte dabei den Kopf schief wie ein kleiner Vogel. Constance war alt. Sie war schon alt auf die Welt gekommen, mit Chanel-Kostüm und weißem Dutt und zweifarbigen Pumps.
    »DeWitt, hätten Sie Zeit, morgen eine weitere Aufgabe zu übernehmen?«
    »Klar«, sagte ich mit klopfendem Herzen.
    »Fahren Sie Auto?«, fragte sie.
    »Legal?«
    Constance winkte ab. Gesetze waren etwas für Leute, die einer Anleitung bedurften, erklärte sie mir später. Für Leute, denen man ausdrücklich sagen musste, dass Babys nicht in den Wäschetrockner und Hunde nicht in die Mikrowelle gehören.
    »Wir fahren nach Las Vegas«, sagte sie. »Oder in die
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