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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe
Autoren: Sven Hillenkamp
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fielen.
    Sie kontrollieren sich jetzt gegenseitig. Doch die Sehnsucht bleibt, der pausenlose Trennungsgedanke. Die Scham angesichts des Erreichten. Auch der Todesdruck bleibt – als doppelter: Den Menschen bleibt kaum noch Lebenszeit, um ihre Behaglichkeitsziele zu erreichen – und kaum noch Lebenszeit, um doch noch ihre Erregungs- und Liebesziele zu erreichen, auf dem Weg der Trennung. Oder auf dem Weg der freien Liebe .
    Der Mann und die Frau sprechen über die freie Liebe, die offene Beziehung. Sie wissen von Zweien, die eine offene Beziehung führen. Sie wissen es von schwulen Freunden, sie haben es von Prominenten gehört. Sie wissen, dass die freie Liebe eine Möglichkeit ist. Sie denken: »Könnte ich es auch? Könnte ich mehrere Partner gleichzeitig haben, gleichzeitig lieben? Durch die offene Beziehung könnte die Unendlichkeit möglicher Partner in unser Leben fließen, wenn auch nur tröpfchenweise. Die Öffnung unserer Beziehung wäre ein Spundloch zur Unendlichkeit.«
    Doch der Mann und die Frau haben Angst. Sie wissen, zu welchen Katastrophen, welchem Kontrollverlust die freie [306] Liebe führen kann. Dennoch hören sie nicht auf, an sie zu denken. Die beiden müssen sich jeden Tag für die Monogamie, gegen die freie Liebe entscheiden. Sie praktizieren eine Monogamie in Zeiten der Polygamie. Denn die Polygamie ist nun keine Randerscheinung mehr. Die Wirklichkeit existiert jetzt am Rande der Möglichkeiten, nicht umgekehrt. Im Kopf, in der Fantasie, also meistens, leben der Mann und die Frau bereits polygam, praktizieren sie die freie Liebe. Nur manchmal, in der Wirklichkeit, sind sie noch monogam. Sie erledigen die Wirklichkeit nebenbei, wie eine Arbeit am Computer, ein Telefongespräch, ein eiliges Essen. Sie leben meist in der Fantasie, nur selten in der Wirklichkeit.
    Sie sagen: »Ich habe Lust auf eine Affäre. Meine zärtliche und sinnliche Strömung sind nicht miteinander verschmolzen. Ich liebe einen und begehre viele.«
    Tatsächlich aber haben sie gar keinen Konflikt zwischen Liebe und Begehren, zärtlicher und sinnlicher Strömung. Tatsächlich wollen sie mit einem leben , aber viele lieben . Zärtliche und sinnliche Strömung sind verschmolzen, doch sie fließen aus ihrem Leben heraus, in die Unendlichkeit. Tatsächlich geht es nicht nur darum, auf Sex zu verzichten, sondern auf die Liebe – für ein Leben auf die Liebe zu verzichten . Die Menschen sagen: »Es ist ja nur der Verzicht auf eine Krankheit, auf einen Kontroll- und Selbstverlust.« Doch der Schmerz bleibt. Denn die Hoffnung bleibt. Die Menschen bleiben freie Menschen.
    Der Himmel ist voller Kometen.

[307] EPILOG
    DER KLEINE SPRUNG
    Dennoch gibt es jetzt etwas, was die Menschen der Welt, in der sie leben müssen, entgegensetzen können. Es ist das Bewusstsein dieser Welt – der unbegrenzten Möglichkeiten als Unmöglichkeit , der unendlichen Freiheit als Zwang . Die Menschen dürfen Hoffnung haben, weil die Unendlichkeit nun nicht mehr nur eine Hoffnung für sie ist, sondern auch ein Schrecken.
    Sie werden ihre Suche darum nicht beenden, ihr Streben nach unendlicher Entwicklung. Sie werden weiterhin glauben, alles sei möglich. Sie werden täglich balancieren zwischen weltberühmt und arbeitslos . Sie werden sich selbst die Schuld geben an ihrer Kündigung, ihrem Krebs. Die Welt ändert sich nicht, nur weil der Mensch sich ihrer bewusst geworden ist. Doch gewinnen die Menschen nun die Möglichkeit des – naturgemäß nur augenblicksweisen – Nichteinsseins mit der Welt hinzu, mit der vermeintlichen Allverantwortung, mit der Suche, mit der Sehnsucht und Scham. Die letzte aller Möglichkeiten ist also doch eine gute, eine guttuende. Diese Bewusstseinsfreiheit bedeutet tatsächlich Befreiung .
    Die Menschen, die nur noch sich selbst analysiert haben, analysieren nun also wieder die Welt. Die Welt, die verschwunden war, nimmt wieder Gestalt an, verwandelt sich von einem vermeintlichen Inneren in ein Äußeres zurück. Der eigene Körper, die eigenen Gedanken – auch sie werden jetzt erkennbar als Welt, ziehende Wolken, als Äußeres, das sich [308] kaum kontrollieren lässt. Die Möglichkeiten werden sichtbar als Mauern. Die Menschen gewinnen einen Begriff von Gesellschaft zurück, jenseits von Hindernis und Gelegenheit. Sie wissen nun, dass auch Gelegenheiten Hindernisse sind.
    Man stelle sich vor!
    Die freien Menschen kehren zurück zur Lebens- als Existenzgemeinschaft. Sie haben die Liebe gekannt, also wird die Sehnsucht
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