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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe
Autoren: Sven Hillenkamp
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wählen, dazu, Menschen zu begehren, die nichts zu bieten hatten als einen Rausch der Nähe, oft nicht einmal das, nur eine Qual der Distanz, des ewigen Aufschubs. Die freien Menschen fielen herein auf solche Menschen, weil sie nur die Liebe suchten, kein Leben, keine Zukunft.
    Einst war die Liebe eine Transzendenz gewesen, Versprechen auf die Zukunft. Doch schließlich hatte sie sich auch von der Zukunft befreit – und damit selbst enthauptet. Es blieb ein Liebesstumpf, eine Unterleibsliebe und Unterbewusstseinsliebe (die im psychologischen Gespräch gepflegt wurde). Die Menschen hatten das Gefühl zerstört, indem sie es aufs Gefühl beschränkt hatten, es von einem Mittelbaren zum Unmittelbaren gemacht hatten. Bereits nach kurzer Zeit verschwand diese Liebe, löste sich auf. Denn eine Zukunft, die einmal begonnen hat, ist einmalig – doch der Rausch der Nähe ist mit Vielen möglich, die Qual der Distanz erst recht. Da das Du kein Durchgang mehr zur Welt war, blieb es ein Durchgang zur Unendlichkeit möglicher Partner.
    Die freien Menschen trennten sich vom Anderen. Sie gingen wieder auf die Suche. Je mehr die Menschen aber – angesichts der Unendlichkeit möglicher Partner – sich als Suchende und Wählende begriffen, umso mehr dachten sie darüber nach, was sie suchten, wer sie selbst eigentlich [296] waren und wie der Andere, zu ihnen Passende , eigentlich zu sein habe.
    Sie wussten nun, dass sie den Meist-Erregenden suchten, die Gleichheit des Wollens, der Erinnerung und Hoffnung, dass sie nach einem suchten, der ihnen eine unendliche Selbstüberschreitung ermöglichen würde, gesellschaftlich und therapeutisch.
    Die Zwecke, die einst im Gefühl der Liebe versteckt gewesen, unbewusst in der Liebe enthalten gewesen waren – sie wurden durch das endlose Suchen und Wählen bewusst gemacht, traten gleichsam aus der Liebe heraus und mussten jetzt auch an sich, getrennt von der Liebe, verfolgt werden. Die Menschen, denen bewusst geworden war, was sie liebten, begannen, dies Etwas an sich zu suchen. Also suchten sie: das Schöne und Erregende, das ihnen Ähnliche, sie Herausfordernde – Menschen, die sie zwar nicht lieben konnten, denn es waren ja nicht die Allerschönsten und Meist-Erregenden, die denkbar Ähnlichsten und Unendlich-Herausfordernden –, die aber immerhin, wie sie erleichtert feststellten, ihre Bedingungen erfüllten, ihren Zwecken entsprachen.
    Die Menschen, die unter Einsatz ihrer Vernunft die Liebe suchten, suchten nun nicht mehr die Liebe, sondern etwas Vernünftiges .
    Die Verschiebung von der Hingabe zum Handeln, zur systematisch betriebenen und verantwortungsbewusst geführten Suche nach einem Geliebten, erwies sich nur als Übergang – zur Suche nach einem vernünftigen Partner, der guten Partie. Die bewussten Vorgänge der Liebessuche – bei jedem einzelnen Suchenden wie den professionellen Suchagenturen – verkehrten die Suche nach der Liebe unter der Hand in die Suche nach einem guten Partner – weil man vorsätzlich und mit Vernunft nicht nach Gefahr und Unvernunft, Rausch und Selbstverlust, Chaos und Schmerz suchen kann.
    [297] Aus der Rationalisierung der Suche wurde die Rationalisierung des Gesuchten. Aus Liebessuche wurde Partnersuche.
    Tatsächlich hatte die Liebe nie über die Zwecke triumphiert, die einst zur Vernunftehe führten. Sie hat sich nie über den Zwang erhoben, den die Eltern ausübten. Vielmehr soll sie unter den Bedingungen unbegrenzter Freiheit selbst die Verantwortung für die Zwecke übernehmen, selbst zweckmäßig sein.
    Die Liebessuchenden, von keinen Eltern, keiner Gesellschaft mehr zur Vernunft gezwungen, müssen sich nun also selber zwingen . Was sie früher mussten, müssen sie nun wollen. Sie haben selbst dafür zu sorgen, dass ihr Lebensmensch ein echter Partner ist, dass er zu ihnen passt, zu ihrem Milieu und ihrer Kultur, ihrer Erfahrung und Hoffnung; dass er ihnen gleicht und ihre Entwicklung ermöglicht. Früher achteten die Eltern darauf, dass der Partner der gleichen Schicht angehörte, der gleichen Religion und gleichen Weltanschauung. Heute tun es die Menschen selbst. Früher waren die Eltern die Gleichheitsfanatiker, jetzt sind es die Menschen selbst. Früher sorgten die Eltern sich um die Bildung und Entwicklung, den gesellschaftlichen Aufstieg der Kinder, deren Selbstüberschreitung. Heute tun es die Kinder, die freien Menschen, selbst. Sie selbst wollen sich in den Richtigen verlieben. Die Liebe soll ihnen nun Mittel zu allen Zwecken
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