Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück
Autoren: dieverse Autoren
Vom Netzwerk:
Beobachter verhalten?
     Ich hatte angenommen, Objektivität wäre das wichtigste. Erst jetzt erkannte ich, daß es keine Objektivität gibt, keine Objektivität geben kann, wenn die einen blind sind und die anderen sehend. Wenn du sehend geworden bist, dann glaube an das, was du gesehen hast. Dann verteidige dein Licht, weil es sonst von der Finsternis verschlungen wird. Das Recht, sehend zu sein, mußt du allezeit behaupten. Jeden Tag, jede Minute. Sonst wirst du wieder erblinden.
     In schlimmer Geistesverfassung kam ich ins Labor. Ich schämte mich, meinen Mitarbeitern in die Augen zu sehen.
     Sie tranken Tee. Unser elektrischer Samowar summte. Mein Glas war gefüllt. Alle saßen schweigend da, nachdenklich, doch Depression merkte ich nicht.
     »Gescha, trink deinen Tee«, sagte Arsik. »Und sei nicht traurig. Entschuldige, daß ich es dir nicht vorher gesagt habe.«
     »Was willst du tun?« fragte ich.
     »Ich fahre weg«, sagte Arsik. »Denkst du vielleicht, ich hätte aufgegeben? Ich beginne von vorn.«
     »Und alles wird sich wiederholen…«
     »Nein, Gescha!« sagte Arsik und zwinkerte mir listig zu. »Jetzt bin ich klüger. Jetzt weiß ich, daß nicht alle eine Seele haben, es heißt also kämpfen.«
     »Womit willst du denn kämpfen?«
     »Mit Licht.«
     »Gennadi Wassiljewitsch, wir gehen mit Arsik«, sagte Schurotschka. »Nehmen Sie's uns nicht übel.«
     »Wer ist wir?«
     »Ich«, sagte Katja. »Wir fahren in den Norden.«
     Ich schwieg. Der heiße Tee verbrannte mir die Lippen. Ich blies in das Glas – die Oberfläche kräuselte sich, durchsichtiger Dampf stieg auf. Es kam die Trauer, und sie trug mich weit weg aus unserem Labor – in ein stilles Land, wo das Firmament in den Farben des Polarlichts schillerte.
     Plötzlich packte mich das Verlangen, in Arsiks Anlage zu schauen. Aber sie war tot, die Scherben der Linsen lagen noch auf dem oberen Regal, neben mir seufzte Ignati Semjonowitsch traurig und gutherzig.
     Dann gingen sie zu dritt, schon durch ihre gemeinsame Aufgabe von uns getrennt.
     Ein paar Tage später verabschiedeten wir sie. Die Mädchen waren entschlossen gestimmt, sie waren in diesen Tagen erwachsen geworden. Sie fuhren ins Ungewisse, in ein kleines Städtchen hinterm Polarkreis; wo man Arsik eine Arbeit in einem Institut für Geophysik angeboten hatte. Schurotschka und Katja hatten noch keine Arbeitsstelle.
     »Gescha, bau das Spiegelsystem«, sagte Arsik. »Und wenn…« Arsik stockte. »Wenn etwas geschieht, das Schema der Anlage liegt in meinem Schreibtisch. Ich habe eine Kopie.«
     »Gut«, sagte ich.
     Wir küßten uns auf dem Bahnsteig. Die Mädchen schluchzten. Ignati Semjonowitsch schneuzte sich laut in ein riesiges Taschentuch. Es regnete, unsere Gesichter waren naß. Der Zug setzte sich in Bewegung, die Mädchen und Arsik sprangen auf das Trittbrett und winkten uns lange nach. Dann gingen Ignati Semjonowitsch und ich den langen, endlosen Bahnsteig zurück.
     Den Weggang von drei Mitarbeitern wertete man als völliges Versagen des Leiters. Ignati Semjonowitsch und ich wurden wieder Professor Galilejews Labor einverleibt. Räumlich betraf uns die Veränderung nicht, wir blieben im selben Zimmer mit dem zerstörten Apparat.
     Zu uns kamen oft Kollegen, die Arsiks Licht kannten. Ich hätte nie gedacht, daß wir so viele Verbündete gewonnen hatten. Die Anlage blieb zerstört, aber nun strahlte sie unsichtbares Licht aus. Ich hatte immer gemeint, es gebe mehr gute als schlechte Menschen. Jetzt überzeugte ich mich davon. Die Menschen verhielten sich freundlicher und herzlicher zueinander, und diejenigen, die einen Krieg gegen uns führten – die Müßiggänger, Karrieristen und das übrige Gesindel –, began nen allmählich, das Institut zu verlassen. Arsik hätte sich mit seiner Abreise nicht beeilen sollen.
     Sogar Professor Galilejew bemerkte auf einer Sitzung: »Die Folgen der Experimente von Tomaszewicz erweisen sich als unvermutet günstig und verdienen eine ernsthafte Analyse.« Aber es war niemand da, der die Sache auf dem gleichen Niveau hätte fortführen können. Man sagt nur so, niemand sei unersetzlich. Tatsächlich war Arsik unersetzlich mit seinen Ideen und, die Hauptsache, mit seiner moralischen Kraft.
     Es verging eine gewisse Zeit, und Ignati Semjonowitsch und ich begannen neben unserer Arbeit an dem optischen Rechner Arsiks Anlage wiederherzustellen. Die Aufzeichnungen, die wir im Schreibtisch fanden, waren eine merkwürdige
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher