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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück
Autoren: dieverse Autoren
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vergangen. Es war ein arbeitsreicher Monat. Wir blieben oft alle nach Feierabend im Labor, tranken Tee und unterhielten uns. Zwei junge Mädchen, eigentlich noch Teenager, zwei Männer in der Blüte der Jahre und ein alter Mann, der eine fünfjährige Enkeltochter hatte. Wir unterhielten uns über Wichtiges und über Nebensächlichkeiten, beratschlagten gemeinsam über ein Geschenk für Ignati Semjonowitschs Enkeltochter, Arsik entwarf gigantische Zukunftsbilder – sie waren mal schrecklich, mal hinreißend –, wir sprachen über die seltsamen Wege der Liebe, wir fühlten uns einfach wohl miteinander. Jeder von uns hatte seine Farben gewählt und vertiefte seine Gefühle durch diese Gespräche.
     Arsiks Apparat hatte bei jedem einen anderen Effekt. Die Mädchen sahen ständig das ganze Spektrum, wobei sie sich länger bei dem pfeildurchbohrten Herzen aufhielten. Während die gelbgrünen Linien der Liebe anfangs schmerzhaft und bedrückend auf sie gewirkt hatten, lernten sie allmählich, daraus Freude zu schöpfen. Sie wurden sehr sanft und freundlich. Manchmal gingen wir abends ins Kino oder in ein Café, und danach begleiteten wir Katja und Schurotschka heim.
     Ich mied den gelbgrünen Bereich des Spektrums. Außer meiner vergessenen Liebe hätte ich doch nichts gesehen. Wie Arsik spezialisierte ich mich auf die Katze. Bei mir bewirkten die purpurnen Tone Selbsterkenntnis, Meditation und Streben nach seelischer Ausgeglichenheit. Arsik stürzte sich auf soziale Erscheinungen. Er las Zeitungen und weinte. Zuweilen reagierte er so heftig auf die Nachricht von einem Erdbeben, auf ein Feuilleton oder ein Kommunique, daß wir ihn zurückhalten mußten, damit er keine Dummheiten anstellte.
     Unser Ignati Semjonowitsch sah vor allem »Sonne« und »Violinschlüssel«. Er wurde gutherzig, lächelte wohlwollend über unseren Enthusiasmus, ließ aber manchmal seltsame Bemerkungen über die eine oder andere geschichtliche Periode oder über bestimmte Persönlichkeiten fallen – über Iwan den Schrecklichen beispielsweise –, was unseren Glauben an überkommene Lehrmeinungen erschütterte.
     Im Institut begab sich indessen etwas Unerklärliches.
     Bei unseren unschuldigen Vergnügungen hatten wir ganz aus dem Blick verloren, daß wir in einem großen Kollektiv lebten und von ihm abhingen. Und da merkte der Organismus, der Institut für physikalisch-technische Forschungen hieß, die kleinen Absonderlichkeiten in seinem Inneren und wurde unruhig: War er etwa krank?
     Die Infektion breitete sich unmerklich aus. Anfangs kamen Mitarbeiter anderer Abteilungen in unser Labor, um in Arsiks Anlage zu blicken und sich zu vergewissern, daß man mit ihrer Hilfe schöne Bilder sehen konnte. Bald müßte ich den Zustrom der Schauwilligen eindämmen. Wir setzten bestimmte Zeiten fest, hingen eine Liste aus, und dann nutzten wir die arbeitsfreien Tage. Ich verfaßte ein Schreiben an den Direktor. Darin bat ich um die Erlaubnis, angesichts der Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas an Sonnabenden und Sonntagen Experimente durchführen zu dürfen. Der Direktor gab seinen Segen, aber Derjagin, der Kaderleiter, rief mich zu sich, um einige Details zu klären.
     »Bedenken Sie, daß wir keine Überstunden bezahlen können«, sagte er.
     »Ich weiß. Darum bitten wir gar nicht.«
     »Arbeitsenthusiasmus?« fragte er mit listigem Blick.
     Ich zuckte die Schultern.
    »Auch Abbummeln wird nicht gestattet«, erklärte Derja.
    »Das will niemand.«
     Offenbar kam ihm das sehr verdächtig vor. Er folgte mir ins Labor und schwänzelte um Arsiks Anlage herum. Dann blickte er in die Okulare. Der Zeiger stand gerade auf »Tropfen«. In diesem Bereich überwiegen Blautöne, sie bewirken tiefe Trauer, rufen sogar Tränen hervor. Nachdem Derjagin zwei Sekunden in die Okulare geblickt hatte, sprang er auf, sah mich verwundert an und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.
     Es hieß, an dem Tage hätte er mehrere Kündigungen genehmigt, was er sonst um keinen Preis getan hätte. Jedenfalls wurde der Besucherstrom stärker. Viele schienen nach Licht zu lechzen. Von unseren Gästen erfuhren wir, daß man in anderen Abteilungen über Arsiks Entdeckung lebhaft stritt, es gab Befürworter und Gegner.
     Eines Tages erschien Professor Galilejew. Er war bestimmt nicht von ungefähr gekommen. Seit ich ein eigenes Labor hatte, waren wir nur beim Mittagessen und auf Sitzungen zusammengetroffen. Äußerlich wahrten wir das Verhältnis von Lehrer und Schüler,
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