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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle
Autoren: Scott Westerfeld
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an, und ein Stück seiner alten Vision kehrte zurück. Rex erkannte, dass ihr Fokus zu der absolut vertrauten Sorte gehörte, zu den Zeichen der Midnight.
    „Sie sind eine von uns“, sagte er.
    „Ja, Rex. Aber das wird dir Melissa erklären. Wir haben uns getroffen, weißt du, fangen an, uns kennenzulernen. Sie wartet auf dich.“
    Die Frau schlüpfte an ihm vorbei, und als sie sich den Gang hinunter entfernte, fiel ihm auf, dass sie nur einen Handschuh trug.
    Er drehte sich um und rannte auf Melissas Zimmer zu.

    Sie hatte ihre Augen geschlossen, ihr Gesicht leuchtete fahl im fluoreszierenden Licht. Die Wunden, zwei an ihrer Stirn und eine, die an ihrer Wange entlanglief, waren inzwischen genäht, über Kreuz mit rosa Faden, der die Haut zusammenhielt. Die Nähte waren aus irgendetwas Synthetischem; Rex spürte, wie scheußlich neu und schlau sie waren.

    Sie hatte den gleichen Fokus wie die Frau auf dem Gang.
    „Melissa?“, sagte er leise. Er fragte sich, was die alte Gedankenleserin ihr im Schlaf angetan hatte.
    Ihre Augen öffneten sich und sie lächelte. „Siehst gut aus, Rex. Deine Frisur gefällt mir.“
    Er seufzte erleichtert und erschöpft. Melissa wirkte wie immer.
    Das andere Bett im Zimmer war leer, und er setzte sich darauf. Mit der Handfläche rieb er sich seinen geschorenen Skalp.
    Er hatte alle verbrannten Locken weggeschnitten und sich bis auf Zentimeterlänge geschoren. „Danke. Siehst auch gut aus.“
    Sie schnaubte verächtlich. „Danke, Rex. Und ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass diese Narben meine Popularität in der Schule auf tragische Weise beeinflussen könnten.“
    Er lachte, was sich aber hohl anhörte. Hier drin gab es zu viele Maschinen – Klingelknöpfe und Sprechanlagen, spezielle Wandanschlüsse für Herzmonitore, eine komplette Infrastruktur aus Leitungen und Stahl um sie herum. Und plötzlich schob sich Melissa wie eine Mumie auf ihn zu, der winzige, schlaue Motor des Bettes sorgte dafür, dass es sich in der Mitte faltete.
    „Du schmeckst seltsam, Rex.“
    Er betrachtete seine zitternden Hände. „Findest du?“
    „Irgendwie … nach Psychokätzchen. Sie haben dich verwandelt, nicht wahr?“
    Er blinzelte, dann nickte er. Da war so vieles in seinem Kopf, neue Geschmacksrichtungen und Bilder, wirre Gedanken, die aus dem Tier hochkochten, das in ihm vergraben lag.
    Nur eine Frage schaffte es in der Verwirrung, sich durchzusetzen.
    „Wer war sie?“, fragte er.

    Melissa lächelte. „Meine Patin, wie sie gesagt hat. Die Patin von uns allen.“ Sie seufzte. „Jedenfalls bis sie sie finden. Sie werden jetzt nach ihr suchen.“
    Rex schloss seine Augen. Sein Kopf schmerzte von den vielen Ereignissen, und jetzt drängten noch Informationen hinterher. Hierherzukommen war eine schlechte Idee gewesen. Er musste sich in die Badlands begeben, nach einem Ort suchen, der kahl und leer war, und nachdenken.
    „Komm her, Rex.“
    Er schüttelte den Kopf. „Du bist zu schwach. Du wirst das nicht ertragen können, was in meinem Kopf ist.“ Er sah sich an den Wänden um, die mit Fingerabdrücken von kranken und sterbenden Menschen gezeichnet waren, leichte Beute, die sich von der Herde trennen ließ. „Vor allem nicht, solange du an diesem Ort bist.“
    Sie lachte. „Kein Problem.“
    „Ich dachte, du hasst Krankenhäuser.“
    „Ich habe alles gehasst, Rex.“
    Er runzelte die Stirn, ein Teil seines Verstandes erinnerte sich an die Bedeutung von Grammatik. „Hast gehasst?“
    „Jetzt nicht mehr.“ Melissa streckte die Hand aus und nahm ihn am Arm. Sie zog ihn zu sich und presste zum ersten Mal ihre Lippen auf seine.
    Sie drang in ihn ein – nicht mit der üblichen, verrückten Flut von Emotionen, sondern maßvoll und kontrolliert, geformt durch die Technik von zahllosen Gedankenlesergenerationen, eine Kunst, die über Jahrhunderte von einer Hand in die nächste weitergereicht worden war. Dess’ Zahlen hatten es gefunden, das Ding, nach dem Rex stets gesucht hatte, die Verbindung zu ihrer Vergangenheit, die die Lehre niemals geboten hatte. Und Melissa hatte sie hier empfangen, heute Morgen, durch Madeleine und die Heerscharen an Vorgängern in ihrer Erinnerung. Endlich ein Bund mit lebendiger Geschichte; zuletzt, für Melissa und sie alle, die menschliche Berührung.
    Diese Jahrhunderte zu tragen, durch den Kuss, der nur zwischen ihnen beiden stattgefunden hatte und ihre alte Freundschaft plötzlich und vollständig von innen nach außen verkehrte, überwältigte ihn
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