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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle
Autoren: Scott Westerfeld
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Morgen gebraucht, um zu verstehen, was seine neuen Visionen bedeuteten: Beutespuren.
    Seit hunderttausend Jahren hatten Darklinge Menschen verfolgt, gelernt, sie aufzuspüren, ihre Orte und Wege zu lesen.
    Da sie als letzte Räuber wagten, sie zu jagen, kannten sie die Menschen besser als jedes andere Tier auf der Erde, besser als sich die halb blinden Zweifüßler selbst kannten. Rex konnte diese Zeichen jetzt sehen, konnte die Manifestationen von allem sehen, wonach die Darklinge hungerten … und was sie fürchteten.
    Eine Sprechanlage über ihm bellte irgendeinen Notruf, und er zuckte zusammen. Hier gab es überall Maschinen – helle, fluoreszierende Lampen, Geräte, um Fleisch und Blut zu testen, tausend schlaue Werkzeuge. Rex wäre am liebsten zur Tür gestürzt und auf ein freies Feld hinausgerannt, weg von all den überwältigenden Zeichen menschlichen Erfindungsgeistes.
    Seine Hände zitterten, die Angst saß fest auf seinen angespannten Schultern.
    Er musste aber zu Melissa, um ihr zu zeigen, was die Verwandlung aus ihm gemacht hatte.
    Er sah zu der Nummer an der Tür auf, an der er gerade vorbeiging, und wieder verschwamm die Welt vorübergehend.
    Er hatte seine Ersatzbrille nicht dabei. Er schien sie nicht mehr zu brauchen, nachdem der Fokus fast überall klebte. Es gab aber Momente, in denen seine Sehkraft nachließ. Sie hatten ihn dann doch nicht ganz verwandelt. Er war immer noch ein Mensch, immer noch Rex Greene – ein Seher, kein Ungeheuer.
    Ein Röntgengerät blitzte in der Nähe auf, sein violettes Leuchten drang durch die Krankenhauswände hindurch bis an seine Augen, und Rex zuckte wieder zusammen, zwischen den Zähnen zischend.
    Er musste Melissa finden, um das hier mit ihr zu teilen. Er musste sie berühren, um sich wieder wie ein Mensch zu fühlen.
    Um die nächste Ecke fand er den Gang, an dem ihr Zimmer lag, endlich ergab der Code aus Zahlen und Buchstaben einen Sinn. Er hoffte, er würde seine Fähigkeit, menschliche Zeichen zu lesen, nicht verlieren. Vielleicht lag es nur an der Erschöpfung, weil er letzte Nacht drei Stunden in der Notaufnahme gewartet hatte. So lange hatte es gedauert, bis sie Melissa untersucht, ihn nach Hause geschickt und endlich ihre Geschichte geglaubt hatten – dass sie ihren Ausweis bei dem Unfall verloren hatte, achtzehn Jahre alt war, und keine Eltern hatte, die man anrufen konnte.
    Als er den Flur entlangging, stach Rex etwas Scharfes ins Auge, eine Gestalt, an der der Fokus leuchtete.
    Eine alte Frau, die Melissas Zimmer verließ.
    Rex blieb stehen. Die Zeichen an ihr saßen tief, jede Linie auf ihrem Gesicht war klar definiert.
    Sie sah ihn mit einem Ausdruck des Erkennens an, ein Lächeln umspielte ihre alten, blassen Züge.
    „Rex! Mein Junge.“ Sie streckte eine behandschuhte Hand aus, und er wich zurück. Was war das für ein Trick?
    Sie betrachtete ihn aufmerksam. „Armer Rex. Immer noch schreckhaft, natürlich. Die Sache war knapp gestern Nacht. So knapp hab ich das noch nie gesehen. Und ich hab schon viel gesehen.“
    „Wer sind Sie?“
    „Ich bin … Melissas Patin. Madeleine.“
    Er schüttelte den Kopf. So eine Person gab es nicht, daran konnte er sich nicht erinnern. Aber heute war es schwer, sich zu erinnern. Rex hatte sich die ganze Nacht hin und her geworfen, in seinem Kopf alles zu entwirren versucht, alles, was er von Melissa erfahren hatte, als sie sich auf der Salzebene umarmt hatten. Und später, als sie sich in der Notaufnahme berührt hatten, ihr Schmerz hin und her geschwappt war, wie bei zwei Kindern, die etwas zu Heißes festhielten …
    Heute Morgen hatte er aber kaum Zeit gehabt, die Veränderungen in ihm selbst zu sortieren und erst recht nicht, was Melissa mit ihm geteilt hatte. Diese Frau namens Madeleine hatte irgendwas mit Dess’ Berechnungen und mit der verschwundenen Midnightergeneration zu tun, an mehr konnte er sich nicht erinnern.
    „Ich dachte, ich besuche sie mal“, sagte sie. „Weißt du, vielleicht bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Und ich hatte sie immer besser kennenlernen wollen. Mein Fehler, genau genommen, dass ich so lange gewartet habe.“
    Noch ein Röntgengerät leuchtete auf, und Rex drehte sich in seine Richtung. Durch seinen Körper lief ein Beben.
    Sie bemerkte seine animalische Reaktion nicht oder tat so, als würde sie sie nicht bemerken, und wiederholte leise: „Alles mein Fehler, genau genommen. Ich hatte solche Angst, war so entsetzt über das, was ich getan hatte.“
    Er starrte sie wieder
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